Fotoalben

Fotos sind Wahrnehmungserinnerungen, aber ihnen kann man nur bedingt trauen, auch wenn die reflektierten Strahlen auf der lichtempfindlichen Schicht ein Abbild der Wirklichkeit konservieren.

Der Fotograf kann zwar seine Motive wählen, aber er unterliegt dabei sozialen Konventionen. Vor allem bei traditionellen Stationen des gesellschaftlichen Lebens erwarten die Beteiligten, dass fotografiert wird: Hochzeit, Babys und Kinder, Taufe, Geburtstage, Weihnachten, Konfirmation bzw. Kommunion, Partys, Urlaub und Reisen, Bestattung. Dafür gibt es rituelle Arrangements vor allem das Gruppenfoto und das frontale Portrait, die oft auf Anordnungen des Fotografen zustande kommen. Meist sind sie ohne großen ästhetischen Anspruch geknipst. In keinem Familienalbum wird man eine traurige, kranke oder weinende Person sehen. Immer lachen alle in die Kamera, umarmen sich, halten ein Glas in die Höhe, höchstens ein Ausdruck der Nachdenklichkeit wird zugelassen. Etwas davon Abweichendes ist nur als Schnappschuss erlaubt und auch hier werden Peinlichkeiten vermieden.

Die Anwesenheit eines Fotografen oder einer Fotografin ist eine Form sozialer Kontrolle. Wer bemerkt, dass er aufgenommen wird, der versucht ein Bild von sich zu präsentieren: impression Management. Deshalb lassen sich viele Personen nur ungern oder gar nicht fotografieren oder sie nehmen eine Pose ein und kontrollieren ihre Mimik.

Aus diesen Gründen sind in Familienalben die Fotos so stereotyp wie das Aufnehmen rituell, sie zeigen mehr, wie man sich ein Familienleben vorstellt, nicht wie es wirklich abläuft. Das Fotoalbum ist zwar eine visuelle Chronik, aber sie hält nur die „glücklichen“ Momente fest und konstruiert damit eine einseitige soziale Realität. Der Austausch und die Betrachtung der Fotos hat die Funktion sozialer Integration, sie stärkt den Zusammenhalt über die Generationen hinweg.

Trotz dieser Vorbehalte, gibt es Fotos, oft sind es Schnappschüsse, die unerwartet etwas offenbaren: durch die Aufstellung der Personen, die Körpersprache oder die Mimik: Wer steht nebeneinander? Wer steht vorn und wer hinten? Wer ist abwesend? Wer berührt einen anderen? Wer blickt wo hin oder zu wem? Es gibt eine therapeutisch orientierte Fotoanalyse für diese Art der Auswertung. (31.08.2016)

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Das klassische Fotoalbum mit eingeklebten Bildern wird derzeit abgelöst durch Fotobücher, die sich mit jedem Foto-Tool gestalten lassen. Foto: Steffen-Peter Ballstaedt

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