Abtauchen

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Kontextbezogenes Graffito in der Fischerau in Freiburg im Breisgau. Foto: St.-P. Ballstaedt (22.06.2017)

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Lektüre zum Unbewussten

Philipp Hübl (2017). Der Untergrund des Denkens. Eine Philosophie des Unbewussten. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

Welche unbewussten Bedingungen beeinflussen unsere Entscheidungen und Handlungen? Da werden viele Möglichkeiten diskutiert: verdrängte unbewusste Wünsche, unterschwellige Wahrnehmungen, angeborene oder erworbene Präferenzen, sprachliche Verhexungen, diverse Selbsttäuschungen (z. B. In Autobiografien), intuitive Prozesse, neuronale Determinismen. Gegen alle zieht der theoretische Philosoph Philipp Hübl zu Felde, um das klassische Konzept einer selbstbestimmten und vernünftigen Person zu retten. Viel Feind, viel Ehr.

Er fasst seine Diagnose selbst prägnant zusammen: „Erstens entpuppen sich die meisten Thesen von der Macht des Unbewussten als maßlose Übertreibungen. Zweitens machen uns die wenigen unbewussten Einflüsse nicht zwingend hilflos oder unvernünftig. Und drittens zeichnet uns Menschen die kritische Vernunft aus, die wir bewusst einsetzen und durch Training verbessern können, um uns gegen Einfluss zu schützen.“ (S. 9) Also Entwarnung: Wir bleiben Herr im Haus, wir können frei entscheiden, wir besitzen Vernunft und Verstand. Natürlich gibt es Einschränkungen, die sind aber grundsätzlich überwindbar.

Um seine Thesen zu belegen, nimmt sich Hübl zahlreiche psychologische und neurowissenschaftliche Untersuchungen vor. Das philosophische Instrumentarium, das er zur Evaluation der Forschung anführt, ist allerdings in keinem Punkt neu: klare Begriffe, saubere Operationalisierung, Falsifizierung, vorsichtige Verallgemeinerung. Besonders der Sozial-  und Neurowissenschaft tut eine derartig kritische Instanz sicher gut, da manche Forscher mit empirischen Schnellschüssen die Medien erobern. Dagegen setzt Hübl eine kritische Philosophie: „Philosophen sind in begrifflicher Genauigkeit, im logischen Schließen und im Argumentieren geschult“ (S.24), Wer allerdings die Philosophie als eine Korrekturinstanz der empirischen Wissenschaften etabliert, sollte nicht verschweigen, dass auch eine umgekehrte Kontrolle sinnvoll ist: Befunde der empirischen Wissenschaften haben schon manch abstruse philosophisches Spekulation widerlegt.

Die Bemühung um klare Begriffe ist verdienstvoll, Hübl unterscheidet bewusstlose, nichtbewusste, unbewusste, unterschwellige, bewusste und aufmerksame Prozesse, vor allem die Präzisierung der Beziehungen von Bewusstsein und Aufmerksamkeit ist überzeugend. Dabei kritisiert der Philosoph aber die Forschung nicht, sondern übernimmt viele Erkenntnisse der kognitiven Psychologie. Die These: Veränderungen im Bewusstsein entsprechen immer Veränderungen in den Hirnprozessen, aber Veränderungen in Hirnprozessen nicht unbedingt Veränderungen im Bewusstsein. Dabei verursachen die Hirnprozesse aber nicht das Bewusstsein! Diese parallele Abhängigkeit wird als Supervenienz oder Emergenz bezeichnet, aber wie der qualitative Sprung von neuronalen Prozessen zu phänomenalen Erlebnissen zustande kommt, ist bisher ein Rätsel. Es ist mutig, dass Hübl sich zur „Keiner-hat-eine-Ahnung-Position“ bekennt und das Problem des Bewusstseins als „das größte Rätsel der Menschheit“ bezeichnet (S. 85).

Hübl hat kein akademisches Philosophiebuch geschrieben, sondern formuliert alltagssprachlich weitgehend ohne Fachjargon und belegt seine Hypothesen oft mit alltäglichen Beispielen. Seine Argumentation ist klar gegliedert und nachvollziehbar. Allerdings verführt die flotte Schreibe auch dazu, über manche Aussage hinwegzulesen. Da wird zu, Beispiel unter der Überschrift „Der letzte macht das Ich aus“ gegen die Ansicht argumentiert, dass das Selbst keinen festen Ort im Gehirn hat, an dem es konstruiert wird: „[…] diese These ist doppelt vorschnell, denn erstens konstruiert das Hirn ohnehin nichts, und zweitens spricht das Unvermögen, ein Hirnareal eindeutig als Sitz des „Selbst“ zu identifizieren, noch nicht gegen dessen Existenz.“ (S. 193). Dem zweiten Argument kann man zustimmen, aber auch dem ersten? Das Gehirn konstruiert nichts? Im Gegenteil: Das Gehirn konstruiert alles! Jede Wahrnehmung ist eine Konstruktion aufgrund sensorische Daten und warum sollte nicht auch das mysteriöse Selbst oder Ich eine nützliche mentale Konstruktion sein.

Insgesamt ist der Husarenritt für die kritische Vernunft sympathisch, aber es wirkt doch etwas hemdsärmelig, wenn der Autor nach seiner Diagnose verkündet, „dass wir so weiter leben können wie bisher.“ (S. 9). Tatsächlich? Das Handeln vieler Menschen ist durch irrationale und spekulative Theorien, durch Ängste und Vorurteile mitbestimmt. Die lebenspraktischen Tipps, wie man der kritischen Vernunft durch Training der Selbstbeherrschung und Konzentration zum Durchbruch verhelfen kann, sind dann doch etwas dürftig und offenbar nicht sehr wirksam. Zum Schluss kommen noch Kreativität und Kunst durch „kontrollierten Kontrollverlust“ zu ihrem Recht.

Fachphilosophen werden die Nase rümpfen, denn das Buch kann man auch im Liegestuhl oder Strandkorb lesen: Es ist anregend und provokant. Aber man sollte dabei den Rat des Autors befolgen und bei der Lektüre die kritische Vernunft trainieren: Gerade schwache Argumente sind besonders forsch formuliert. (21.06.2017)

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Kinderhände

Gerd-Edeltraud

Gerd & Edeltraud: Die nächste Generation an Streetart-Künstlern wächst heran (zum Vergrößern ins Bild klicken). Foto: St.-P. Ballstaedt (14.06.2017)

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Brüderle

Rainer Brüderle (FDP) hat 2013 durch die Evaluation des Dekolletees der Journalistin Laura Himmelreich eine Sexismusdebatte ausgelöst, seitdem hat man nichts mehr von ihm gehört. (07.06.2017)

Bruederle

Wenig feinsinniges Stencil aus Freiburg/Br. in der Studentensiedlung am Flückigersee. Foto: Wolfgang Scherer

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Eiscreme

Der Eiskonditor Dario Fontanello hat für den Ökumenischen Kirchentag in Mannheim ein Ökumene-Eis entwickelt, das die Konfessionen durch Lecken vereinen soll. Das Eis erinnert sensorisch an das Abendmahl: Grundlage ist eine Verbindung aus Milcheis mit gerösteten Brioche-Stücken (Brot!) und Riesling-Sorbet (Wein!).

Das ist eine Idee, die die Wahlkampf-Manager unserer Parteien aufgreifen sollten. Hier ein paar mögliche Eiskreationen:

CDU
Farbe: schwarz
Basis: Sepia mit Brombeere
Aromen: ein Hauch Birne, Weihrauch
Serviervorschlag: als Coupe Deutschland mit Fähnchen

SPD
Farbe: rosarot
Basis: Granatapfel (Grenadine)
Aromen: Nelke, Honig
Serviervorschlag: mit Knorpelkirsche

FDP
Farbe: gelb
Basis: Quitte (enthält Schleimstoffe)
Aromen: Lindnerblüten, Banane
Serviervorschlag: mit Smarties

Grüne
Farbe: grün
Basis: Basilikum (Bio)
Aromen: Waldmeister, Weinraute
Serviervorschlag: an Grüner Soße

DIE LINKE
Farbe: dunkelrot (Cochenille)
Basis: Himbeere
Aromen: Wildrose
Serviervorschlag: als Hexenkuss am Stiel

AfD
Farbe: hellbraun
Basis: Haselnuss
Aromen: Eierlikör
Serviervorschlag: an der Waffel

Diese Kreationen sind patentrechtlich noch nicht geschützt! Mögliche Koalitionen lassen sich in einem Eisbecher verkosten. (01.06.2017)

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Projektion

Der Bürgermeister von Tübingen, Herr Palmer, ist dafür bekannt, dass er keinem Konflikt aus dem Weg geht und kein Fettnäpfchen auslässt. Die Leserbriefe im Schwäbischen Tagblatt zu seiner Politik und seiner Person sind soziologische Dokumente der Befindlichkeiten in der Tübinger Politszene. Dazu gehört auch dieser Text: Wenn man die Sprachkompetenz außer Acht lässt, bleibt ein diffuses Unbehagen und ein hilfloser Protest, der alle Ängste auf eine Person projiziert. (30.05.2017)

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Text mit Aufklebern an eine Scheibe am Stadtgraben in Tübingen geheftet (zum Vergrößern ins Bild klicken).Foto: St.-P. Ballstaedt

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Polyamorie

Hin und wieder lese ich in der BRIGITTE, der Werbezeitschrift mit eingestreuten redaktionellen Artikeln, um mich in der Welt der Frau zu orientieren.

Dort habe ich ein für mich neues Wort gefunden: Polyamorie, ein griechisch-lateinisches Kompositum, das irgendwie sehr cool klingt. Es bezeichnet die Idee, dass man mehr als einen Menschen zur gleichen Zeit lieben kann, mit der gemeinen Klausel, dass alle Beteiligten das wissen und damit einverstanden sind. Als Abgrenzung zur Freien Liebe müssen die Verbindungen „langfristig und vertrauensvoll“ angelegt sein, also nicht Swinging, Promiskuität, One-Night-Stands, Prostitution oder heimliches Fremdgehen. Dass man mehrere Personen liebt, soll ja immer wieder einmal vorkommen, die fallen einem Bertrand Russel, Bert Brecht oder Jean-Paul Sartre ein. Aber warum man dazu einen eingetragenen Verein gründen muss, bleibt mir ein Rätsel.

In der Terminologie sind die Polyamorösen sehr kreativ. Sie kennen keine Eifersucht, sondern Compersion, übersetzt als Mitfreude oder Resonanzfreude: Sie empfinden intensive Freude, wenn ein geliebter Mensch mit einem anderen Partner in einem zärtlichen, erotischen oder intimen Kontakt glücklich ist. In diesem Zustand fühlen sie sich „frubbelig“, so das adversative Adjektiv von „eifersüchtig“. Da ist der Prozess der Zivilisation aber schon weit vorangekommen! Schaut man sich im Polyamoren Netzwerk e.V. (PAN) um, welches Thema wird ausführlich diskutiert: die Eifersucht! Es wird sogar ein Coaching für Polyamoröse angeboten! Für das Beziehungsmanagement ist die Mehrfachliebe eine äußerst schwierige und zeitraubende Aufgabe. Dafür wird man aber mit mehr Authentizität, Selbstentfaltung und Lebendigkeit belohnt! (26.05.2017)

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Die Polyamorie hat natürlich ein Logo: Das Herz mit dem Symbol für Unendlichkeit. Wäre auch für den Muttertag geeignet. Quelle:  Wikimedia Commons

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Ari Plikat

Gute Bildwitze haben zwei Merkmale: 1. Die Zeichnung als solche ist witzig, d.h. karikaturhaft übersteigert und damit inhaltlich akzentuiert. 2. Zwischen Bild und Text herrscht eine inhaltliche Komplementarität, d.h. erste beide zusammen ergeben den Witz, der Text ohne Bild bleibt witzlos.

Die Cartoons von Ari Plikat sind hervorragende Beispiele dieser Kunst. Ihm ist derzeit eine Ausstellung in der Frankfurter Caricatura gewidmet (noch bis 23. Juli. 2017). Plikat hat vor allem zwei Sujets: Sex und Tod (neben vielen anderen Themen). Die Cartoons zeigen oft Freund Hein bei der Arbeit und die ist überaus lustig. Dem menschlichen Sexleben gewinnt Ari Plikat immer neue Pointen ab. Er ist mit F.W. Bernstein ein letzter Vertreter der Frankfurter Schule. (18.05.2017)

Heute war ja wieder der Wurm drin..._(c) Ari Plikat-637f3b22

Nur Bild und Text zusammen ergeben die Pointe. Quelle: http://caricatura-museum.de

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Recyling

Getraenkerueckgabe

 Neuzugang in meiner Sammlung von Toiletten-Piktogrammen. Foto: St.-P. Ballstaedt (12.05.2017)

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LOL

Am ersten Sonntag im Mai ist Weltlachtag. „Mit dem Weltlachtag soll ein positives Zeichen für den Weltfrieden gesetzt werden. Er möchte dazu beitragen, ein globales Bewusstsein für Gesundheit, Glück und Frieden durch Lachen zu schaffen.“ Um 14.00 Uhr soll ein globales Gelächter um den Erdball geschickt werden.

In vielen Städten gibt es Lachclubs, die sich zu gemeinsamen Lachen treffen. Sie setzen die James-Lange-Theorie der Emotionen um: Wir lachen nicht, weil wir vergnügt sind, sondern wir sind vergnügt, weil wir lachen. Vor Jahren habe ich an einem Weiterbildungsseminar für Hochschullehrer zum Thema „Humor im Unterricht“ teilgenommen. Der moderierende Lach-Yogi verteilte uns rote Nasen und ließ uns andauernd gemeinsames Gelächter anstimmen: verhaltenes, ordinäres, brüllendes, hintergründiges, zynisches, freches, spöttisches, satanisches Lachen. Einziger praktischer Tipp für den Unterricht: Die Studierenden sollten immer mal wieder gemeinsam für einige Sekunden lachen. Das entspannt und macht fröhlich.

Lachen, Kuscheln, Raufen, Essen, Reisen, viele alltägliche Verhaltensweisen werden in quasi-therapeutischen Gruppen institutionalisiert. Das sagt doch auch etwas über unser soziales Leben aus? Ich finde einen Lachtag reichlich lächerlich, aber wenn man sonst nichts zu lachen hat, bitte!

Achtung: In Weingruppen wird gemeinsam Wein getrunken! (07.05.2017)

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Aktuelles Weltlachtag-Logo. Quelle: Wikipedia Commons

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