In der politischen Sprache werden gern Wörter benutzt, die einen hohen Wert zum Ausdruck bringen und in der politischen Auseinandersetzung wie Fahnen vor sich her getragen werden. Derzeit ist das z.B. die Schuldenbremse. Dabei handelt es sich inhaltlich um eine verfassungsrechtliche Maßnahme zur Begrenzung der Staatsverschuldung. Aber das Wort wird mit verschiedenen Konnotationen versehen. Die FDP sieht darin ein Mittel der Sparsamkeit und Generationengerechtigkeit. Die Jusos und die Linke sehen darin eine Hemmnis für notwenige Investitionen und das Wirtschaftswachstum. Dasselbe Wort wird unterschiedlich benutzt, in unterschiedlichen politisch-weltanschaulichen Kontexten, aber immer verbunden mit starken emotionalen Konnotationen. Für die einen ist Pazifismus eine moralisch hochstehende Position, für andere eine realitätsferne und feige Gesinnung.
Viele Fahnenwörter haben einen derartigen Spielraum der Bedeutung (Fachausdruck: ideologische Polysemie): Demokratie, Freiheit, Menschenwürde, Solidarität sind allgemeine Wörter, die sehr unterschiedlich definiert werden können. Wie politische Begriffe mit Bedeutung aufgeladen werden, kann man derzeit am Begriff des Antisemitismus beobachten. Antisemitismus ist in Wort und Tat die Ablehnung und Diskriminierung von Menschen jüdischen Glaubens, kurz Judenhass. In der Antisemitismus-Resolution des Bundestages wird aber auch Kritik an der zum Teil rechtsextremen israelischen Regierung Netanjahu unter den Verdacht des Antisemitismus gestellt. Das bedeutet: Wer die Siedlungspolitik, die Verletzung des Völkerrechts, die inhumane Kriegsführung usw. kritisiert, ist zumindest ein latenter Antisemit. So werden Bedeutungsgrenzen verschoben, zumindest wird es versucht. (28.11.2024)
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