Der Philosoph Thomas J. Spiegel formuliert die ernüchternde Erkenntnis, dass die meisten philosophischen Aufsätze für die Welt jenseits des akademischen Bereichs irrelevant sind (FR 13.5.2025). Die Überproduktion an philosophischen Arbeiten führt zu einem Aufmerksamkeitsverfall. Selbst ein Kant-Experte wird nicht mehr alle einschlägigen Publikationen lesen können und sie in seinen Arbeiten zitieren. Ein Bericht von Times Higher Education aus dem Jahr 2012 ergab, dass 52,2 % der philosophischen Artikel fünf Jahre nach Ihrer Veröffentlichung unzitiert bleiben! Dass Beiträge relevant sein sollen, wird jeder begrüßen, aber was macht das Gütekriterium der Relevanz aus?
Carl Gustav Hempel hat ein empiristisches Sinnkriterium aufgestellt, das besagt, dass man nur solche Aussagen machen sollte, die sich auch irgendwie empirisch überprüfen lassen. Das ist ein strangulierendes Kriterium, denn gerade die Philosophie sollte ein Bereich bleiben, auf dem man auch über den Tellerrand der Verifikation und Falsifikation hinaussehen darf, z.B. Utopien formulieren, ethische Prinzipien aufstellen, Sinnfragen erörtern.
Richard Rorty hielt eine Philosophie nur für relevant, wenn sie auf irgendeine Weise sozialen Fortschritt erzeugt oder geistig begleitet. Dieses Kriterium macht einen soliden Eindruck, aber natürlich muss man für seine Anwendung sozialen Fortschritt definieren. Und da dürften die Ansichten auseinander gehen.
Thomas Spiegel schlägt ein Kriterium der habituellen Selbstprüfung hinsichtlich der Relevanz der eigenen Publikationen vor. Ein Autor oder eine Autorin kann einen Mentor oder Freund um intellektuelle Hilfestellung bitten, aber letztlich muss er bzw. sie selbst entscheiden, ob man Relevantes für das Leben zu lesen bekommt. Sicher ist eine derartige Selbstprüfung sinnvoll, aber wird das die Anzahl der Publikationen wirklich verringern? Psychologisch gesehen wird doch kein Denker eingestehen, dass seine Überlegungen irrelevant sind und den Text in der Schublade belassen. Und selbst wenn Autorinnen und Autoren ihre Beiträge für wenig bedeutsam halten, wird immerhin die Veröffentlichungsliste länger, denn es bleibt der akademische Druck zu publizieren, um berufliche Chancen abzusichern.
Persönliche Schlussbemerkung. 2022 habe ich meinen einzigen philosophischen Artikel in einer Fachzeitschrift veröffentlicht, der bis heute noch nie zitiert wurde: Ballstaedt, Steffen-Peter: Verständlichkeit der Philosophie. In: Aufklärung und Kritik. Zeitschrift für freies Denken und humanistische Philosophie, 29, 2/2022, S. 7-25. Natürlich halte ich meinen Aufsatz für relevant! (13.05.2025)