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Lektüre über das Zuhören

Bernhard Pörksen: Zuhören. Die Kunst, sich der Welt zu öffnen. München: Carl Hanser, 2025. ISBN 978-3-446-28138-7, 24,00 €.

Der Tübinger Medienwissenschaftler hat ein Buch über das Zuhören geschrieben. Dabei geht es nicht um die in jedem Kommunikationstraining eingeübte Fähigkeit, den anderen ausreden zu lassen und nicht sofort darauf zu reagieren, sondern seine Aussage erst einmal mit eigenen Worten zu wiederholen.
Es geht darum, warum Menschen etwas überhaupt nicht hören wollen, warum sie sich Botschaften verschließen. Hören mit dem Ich-Ohr bedeutet, nur das hören, was man aufgrund seines Wissens, seiner Auffassungen und Interessen vernehmen möchte. Hören mit dem Du-Ohr bedeutet, sich gerade auf die Andersartigkeit und Fremdheit einzulassen, um über die eigene Perspektive hinauszukommen. Das kann in Akzeptanz und Einverständnis enden oder aber in Distanz und Ablehnung, aber erst nach dem Zuhören, nach dem Bemühen um Verständnis.
Pörksen demonstriert seine etwas anspruchsvoll bezeichnete„Philosophie des Zuhörens“ an vier Fallstudien: dem Missbrauch an der Odenwaldschule, dem Ringen um Empathie im Ukrainekrieg, den Utopien des Silicon Valley und dem Umgang mit der Klimakrise. Dokumentenanalysen und Gespräche bilden die empirische Basis seines kommunikationstheoretischen Ansatzes, der sich ausdrücklich auf die Aktionsforschung (action research) des Sozialpsychologen Kurt Lewin bezieht (S. 44). Diese Bezugnahme ist etwas gewagt, denn die Sammlung von Daten im Feld mit den Beteiligten ist nur ein Schritt, es fehlt die Veränderung und die Erfolgskontrolle der Aktionsforschung.
Zur Demokratie gehört notwendig das Gehörtwerden unterschiedlicher Gruppen, was ein Zuhören mit Zuwendung, Aufmerksamkeit und Geduld voraussetzt. Zur politischen Rhetorik gehören Redewendungen wie „den Dialog suchen“, „auf Augenhöhe miteinander reden“, aber intensives Zuhören ist selten, eher wird ein Gegenüber schnell mit einem Etikett versehen, das weitere Auseinandersetzung erspart: Covidiot, Besserwessi, Tugendterrorist, Rassist usw. Ein offenes und neugieriges Zuhören ergründet die Tiefengeschichte des Andersdenkenden, ein Konzept der amerikanischen Soziologin Arlie Hochschild, mit dem sie einen schwer greifbaren emotionalen Komplex aus Erfahrungen und vermeintlichen Erkenntnissen meint (übrigens ganz wie der Analytiker Gustav Jung einen gefühlsbetonten Komplex definiert hat). Eine Tiefengeschichte verstehen, bedeutet die Einnahme einer fremden Perspektive, aus der die Welt aus anderen Augen gesehen wird. „Das Buch endet mit dem Satz: „Wirkliches Zuhören ist […] gelebte Demokratie im Kleinen, Anerkennung und Akzeptanz von Verschiedenheit, Suche nach dem Verbindenden, Klärung des Trennenden, gemeinschaftliche Erfindung einer Welt, die überhaupt erst im Miteinander-Reden und Einander-Zuhören entsteht“. (S. 276). Ein schöne Predigt! (16.04.2025)

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Kritisierende

Beim gemäßigten Gendern verwende ich gern das substantivierende Partizip, z.B. Studierende, Teilnehmende, Lesende. Eine häufige Kritik am Gebrauch des substantivierten Partizips lautet: Ein Lesender ist eine Person, die gerade liest, eine Studierende eine Person, die gerade studiert. Studenten und Studentinnen, die am Abend auf einer Party feiern, wären gerade keine Studierenden. Die grammatische Form des Partizips gibt es aber nicht nur in dieser aktivischen, sondern oft in einer attributiven Bedeutung: Es kennzeichnet Personen, die hin und wieder bzw. gewöhnlich etwas tun: Eine Stillende ist eine Frau, die ihre Babys stillt und das nicht unbedingt in dem Moment der Aussprache. Das gilt auch für Autofahrende, Reisende, Vorsitzende. Das substantivierte Partizip hat für das Gendern den Vorteil, dass im Plural kein Genus erkennbar ist. Grammatikalisch spricht nichts gegen diesen Sprachgebrauch. Wer natürlich grundsätzlich gegen das Gendern ist, den wird das Partizip stören.(12.04.2025)

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Schmusen

Nachdem wir bereits dem Verb „kuscheln“ mehrere Beiträge gewidmet haben, ist heute das Verb „schmusen“ an der Reihe, das von der Lautung ebenso angenehm klingt. 

Schmu kommt aus dem Hebräischen und bedeutet dort „haltloses Gerede“. In der Gaunersprache des Rotwelschen bedeutet schmuoß „Erzählung“ und schmußen abwertend „schwatzen“. Der Schmu ist ein „unlauteres bzw. betrügerisches  Geschäft, das durch langes Reden erreicht wird“, vor allem im Viehhandel, dann auch in der Heiratsvermittlung. Daher noch die Redewendung „Mach keinen Schmu“. Aus dem Rotwelschen wandert das Wort in verschiedenen Mundarten in der Bedeutung „viele Worte machen, durch Reden einen Vorteil erreichen“ oder einfach „schmeichlerisch/einschmeichelnd reden“. Das Reden wird dann mit erotischen Handlungen begleitet, Schmusen bekommt die Bedeutung von „mit jemandem zärtlich sein, Liebkosungen austauschen“. Am weitesten geht die Bedeutung in der Schweiz (nach Ernst Leisi, 1983, S. 121). Dort hat das Verb etwa die Bedeutung von Petting, also sexuelle Handlungen bis kurz vor dem Geschlechtsverkehr. Das Reden wird zum Verführen. (27.03.2025)

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Neusprech

Eine Bezeichnung mit einem Wort verändert nicht gleich die Wirklichkeit. Wenn Putin von einer militärischen Spezialoperation statt einem Angriffskrieg spricht und unter Strafe so benennen lässt, dann ändert das an den Kämpfen zunächst nichts. Das K-Wort bereitet Politikern immer wieder Schwierigkeiten. Der Einsatz von Bundeswehr-Tornados und einer Fregatte gegen IS-Stellungen in Syrien wurde als „bewaffneter Konflikt“ bezeichnet. Der Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan war zunächst ein „robuster Stabilisierungseinsatz“, als es für die dort stationierten 4.000 deutschen Soldaten bedrohlich wurde, sprach man immerhin von „kriegsähnlichen Zuständen“.

Auch wenn Bezeichnungen die Wirklichkeit nicht verändern, so bieten sie doch einen Bezugsrahmen, einen Frame, innerhalb dessen ein Ereignis interpretiert wird. Langfristig können sich diese Frames auf das Denken auswirken und dann auch auf Entscheidungen und das Handeln. Sie können also durchaus eine veränderte Wirklichkeit schaffen. Das kann man bei Trumps „fake News“ beobachten, wer ihnen glaubt, der vertritt inzwischen eine „illegale“ Meinung. Und gegen Gesetzeswidriges muss ein Staat vorgehen. (24.03.2025)

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Trostlos

Im Schönbuch: Von einer Landstraße geht ein Weg in den Wald ab, nach etwa 10 Metern eine geschlossene Schranke. Davor rechts und links Müll: kleine Elektrogeräte, Gartenabfälle, Verpackungsmaterial, Essensreste, gebrauchtes Toilettenpapier, Präservative. Mitten in der Sauerei blüht ein Cyclamen, ein dunkelrotes kleine Alpenveilchen, gegen die Vermüllung an, ein trostloses Bild. Viele Menschen haben offenbar den Bezug zur Natur vollständig verloren, sie ist nur noch Ort für Sport, Grillen und Entsorgen. (14.02.2025)

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Doppelt gemoppelt

Wer unter dem Symptom Sodbrennen (Ösophagitis) leidet, der wird bei aufsteigender Magensäure Brennen für ein treffendes Wort halten, aber woher kommt „Sod“? Das ist ursprünglich von „sieden“ abgeleitet. Der Sod – heute noch der Sud – ist ein Wort für etwas Siedendes. Das Kompositum ist eigentlich aus zwei inhaltlich ähnlichen Teilen zusammengesetzt: Im zweiten Wortteil wird etwas ausgesagt, was bereits im ersten Wortteil steckt. Die Sprachwissenschaftler sprechen von verdeutlichenden Komposita oder Determinativkomposita. Oft handelt es sich bei einem Teil der Zusammensetzung um ein veraltetes oder entlehntes Wort: Eichbaum, Eifersucht, Lindwurm, Kieselstein. (29.01.2025)

Beim Genuss eines Kichererbsensalats muss man nicht unbedingt wissen, dass „kicher“ mittelhochdeutsch „Erbse“ bedeutet und vom Lateinischen „cicer“ abgeleitet ist. Quelle: Wikimedia Commons.

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Nasierer

Haare sind nicht überall erwünscht. So haben Haare in der Nase zwar eine wichtige Filterfunktion gegen Schmutzpartikel, gelten aber als ungepflegt, wenn sie aus den Nasenlöchern herauswuchern. Die Kosmetikindustrie bietet Nasenhaartrimmer mit dem schönen Wort „Nasierer“ an, eine Kontamination aus Nase und Rasierer, die jeder sofort versteht. (24.01.2025)

Hier sollte man nasieren. Quelle: Wikimedia Commons

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Isogramme

Als sprachliche Besonderheit wurden bereits ausführlich die Wort-, Satz- und Textpalindrome vorgestellt, Buchstabenketten, die vorwärts und rückwärts gelesen das selbe Wort, den selben Satz oder den selben Text ergeben. 

Eine andere Besonderheit sind die Isogramme, eine Buchstabenkette, in der jeder Buchstabe nur einmal vorkommt. Im Sprachgebrauch verwendete Isogramme gibt es recht wenige, z.B. Büroflächenumsatz, Mobilfunkgespräch, Rotwildbekämpfung, Dialogschwerpunkt, sie bestehen aus 17 verschiedenen Buchstaben. Lässt man auch Fantasiewörter zu, die zwar einen Sinn ergeben, aber nicht gebräuchlich sind, kann man die Buchstabenanzahl noch steigern: Zwölftonmusikbücherjagd, Zylinderkopfwachstum, Wildbachverstopfung. Die Gesellschaft für Deutsche Sprache hat 1988 in einem Wettbewerb das längste deutsche Isogramm mit 24 Buchstaben ermittelt: Heizölrückstoßabdämpfung.

Ein besonderes Isogramm ist das Pangramm, das ist ein Satz, in dem alle Buchstaben des Alphabets mindestens einmal vorkommen. Der Klassiker: Zwölf Boxkämpfer jagen Viktor quer über den großen Sylter Deich. (21.01.2025)

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Historischer Humor 20

Es geht um den Herrenwitz, dessen angebliches Aussterben teils begrüßt, teils beklagt wird. Sexuell anzügliche Witze wurden schon in der Antike erzählt (Historischer Humor 15), als Zote gewinnen sie in Fastnachtsspielen Endes des 15. Jahrhunderts öffentliche Beliebtheit. Der Herrenwitz stammt aus einer Zeit, in der Männer der gehobenen Gesellschaft sich nach dem Speisen in ein Nebenzimmer zurückzogen, um dort zu rauchen und zu trinken. Auch Clubs und Kasinos waren derartige Männerdomainen, in denen derbe, obszöne Witze erzählt wurden, die für sensible Damen nicht als geeignet angesehen wurden. Der Herrenwitz zeichnet sich also durch eine spezielle kommunikative Situation aus. Sigmund Freud schreibt, dass die Zote primär dem Ziel dient, dass der Erzähler sein meist sexuelles Interesse auf den Hörer/die Hörerin übertragen kann, ohne soziale Sanktionen fürchten zu müssen. „Die Zote ist ursprünglich an das Weib gerichtet und einem Verführungsversuch gleichzusetzen.“ Der Herrenwitz muss ohne die Anwesenheit von Frauen auskommen.

In der Harald Schmidt Show las Charly Wagner „Klassiker des Herrenwitzes“ in rhetorisch dezenter Weise vor. Natürlich als Provokation, denn mit einem oberflächlichen Blick behandeln diese Witze Frauen als Sexualobjekte. Ein analytischer Blick zeigt aber, dass oft Ängste der Männer vor der sexuell aktiven Frau zum Ausdruck kommen. (04.01.2025)

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Bonfortionös

Es gibt im Deutschen zahlreiche Adjektive, die mit dem Suffix -ös enden: amourös, glamourös, generös, libidinös, nervös, seriös, monströs usw. Die Bedeutung des Wortbildungsmorphems bezieht sich immer auf ein Substantiv: mit Bravour = bravourös, ein Mysterium = mysteriös, ein Desaster = desaströs, also bedeutet -ös so viel wie „beschaffen wie, gleich“. Schon einiger Wortbeispiele legen nahe, dass es sich um ein Suffix aus dem Französischen handelt, wo -eux häufig vorkommt, das  -x aber in der Grundform nicht ausgesprochen wird. Das Suffix kam als Lehnmorphem im 18. und 19. Jahrhunderts auf, vor allem in der Studentensprache. Adjektive auf -ös setzen einen satirischen Akzent: ein pompöses Auftreten, eine luxuriöse Ausstattung, ein voluminöses Buch, eine skandalöse Person, eine ominöse Geschichte usw. Noch deutlicher wird das bei Wörtern, die offensichtlich übertrieben gemeint sind wie elefantös oder bonfortionös. Theodore Fontane hat das Adjektiv „schauderös“ in die Welt gesetzt. (02.01.2025)

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