Lektüre zur Debattenkultur

Bernhard Pörksen/ Friedemann Schulz von Thun: Die Kunst des Mineinander-Redens. Über den Dialog in Gesellschaft und Politik. München: Carl Hanser. 20,00 €, ISBN 978-3-446-26590-5

Der Tübinger Medienwissenschaftler und der Hamburger Kommunikationspsychologie diskutieren gern miteinander, es ist schon ihr zweites in Dialogform veröffentlichtes Buch. (Lektüre zur Kommunikation). Die Gespräche wurden mündlich face-to-face geführt, aber – wie Schulz von Thun im Nachwort gesteht – enorm überarbeitet. Die inhaltlichen Anschlüsse sind elegant, dem Gegenüber fällt immer etwas Weiterführendes oder das passende Beispiel ein, sie spielen sich die Bälle, sprich Stichworte geschickt zu.

Das Buch geht von einer „Gefährdung von Gespräch und Diskurs“ in unserer Gesellschaft aus, einer gefährlichen „Diskursverwilderung“. Aber „die Art und Weise des Sprechens und Streitens ist der entscheidende Gradmesser demokratischer Vitalität“ (S. 40). In den Gesprächen werden Problemzonen der gesellschaftlichen Kommunikation behandelt: Talkshow-Debatten, Skandalisierung, Desinformation und Fake News, Krise des Journalismus, Hassattacken in den sozialen Netzwerken, Verschwörungstheorien, Umgang mit der neuen Rechten usw. Fokus bleibt aber das konstruktive Miteinanderreden und Streiten. Die Autoren umkreisen ihr Kernthema in zahlreichen Wiederholungen. Pörksen spielt dabei die Rolle des Stichwortgeber und Draufgängers, er stellt Thesen auf und spitzt sie manchmal zu, Schulz von Thun gibt den Friedemann, der die Spitze als versierter Mediator wieder abschleift, immer weise abwägend, einschränkend, ausgleichend.

Was arbeiten die beiden an Empfehlungen für eine gelungenes Gespräch heraus? Hier nur Stichworte: Dem Gegenüber muss ein Minimum an Wertschätzung und Respekt entgegengebracht werden, statt Abwertung und Diffamierung. Ein Mindestmaß an Empathie und eine Anstrengung des Verstehens (nicht des Einverständnisses) ist auf beiden Seiten erforderlich. Der Streit muss um die Sache gehen ohne die Person herabzusetzen (Prinzip der respektvollen Ablehnung, S. 88), z.B. durch eine „rückwirkende Generalisierungen“ mit Aussagen wie: „Sie haben ja schon immer…..“. Überprüfbaren Beschreibungen und subjektiven Bewertungen müssen getrennt werden. Man soll die Stärken der Argumentation des anderen anerkennen und die eigenen Schwachpunkte  einzugestehen. (Souveränität höherer Ordnung, S. 142). Grundsätzlich soll man davon ausgehen, dass auch ein ungeliebter Gesprächspartner nicht in allem unrecht hat. Und schließlich hilft hin und wieder Humor als Mittel  der Depolarisierung und Entkrampfung (S. 80). Das Gespräch wird als „dialektisches Wechselspiel von Akzeptanz und Konfrontation“ aufgefasst.

Kein Zweifel: Das sind nützliche Prinzipien und Empfehlungen, denen wohl niemand widersprechen wird, aber warum werden sie oft nicht eingehalten? Meine Vermutung: Die beiden Akademiker unterschätzen die Macht der Gefühle. Frustrationen, narzisstische Kränkungen, Macht- und Ohnmachtsgefühle, Ängste, Unsicherheit, Sorgen, all das bestimmt die menschliche Kommunikation mit. „Der Mensch ist ein Gefühlswesen“, stellt der Psychologe zwar fest, aber er verlangt eine rationalen Kraftakt, wenn er kommunikative Kompetenz so beschreibt: „Stimmige Kommunikation ist authentisch und wirkungsbedacht zugleich, ist darauf aus, die eigene innere Wahrheit zu offenbaren und ebenso der Situation gerecht zu werden, die in ihren Besonderheiten und ihren inhärenten Herausforderungen erkannt sein will“ (S. 209). Oder anders formuliert: „Stimmig ist eine Verlautbarung dann, wenn sie erstens auf Wahrheit beruht, zweitens in unaufdringlicher Weise wahrhaftig ist und drittens beziehungsverträglich formuliert ist und zu einer konstruktiven Reaktion einlädt.“ (S. 164). Beim reflektierten Schreiben bekommt man das vielleicht noch hin, aber in der spontanen Alltagskommunikation und in emotional aufgeladenen Debatten? Zumindest ich fühle mich dadurch überfordert.

Die beiden Gesprächspartner sind sich bewusst, dass ihre Empfehlungen für vernünftige Verständigung schwer umzusetzen sind (wie schon die Konversationsmaximen von Grice oder die Geltungsansprüche bei Habermas). Dazu Pörksen: „Was sich vermitteln lässt, sind allenfalls Metarezepte, geistige Rahmenbildungen und gedankliche Werkzeuge, um im möglichst hellen Bewusstsein abzuwägen, was man tun könnte und vielleicht tun sollte““ (S. 165). Und im Nachwort formuliert Schulz von Thun  als Lernziele ein „geschärftes Dilemmabewusstsein“ und ein „Kompass für Stimmigkeit“ (S. 209). (11.03.2020)

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