Das Adjektiv „postfaktisch“ hat es zum Wort des Jahres 2016 geschafft, berechtigt, denn es ist nicht nur ein Lieblingswort des Feuilletons und der Politik, sondern fokussiert einen zentralen Aspekt unserer Gesellschaften.
Lügen, Falschmeldungen, Über- und Untertreibungen, Gerüchte, Vermutungen, Auslassungen, zugespitzte Polemiken, üble Nachrede usw. hat es schon immer gegeben. Desinformation wurde und wird gezielt verbreitet: im militärischen Bereich (Spionage), in der Wirtschaft (Werbung und PR), in der Politik (Propaganda). Drei Dinge haben sich aber geändert:
- Jeder, der einen Computer benutzt, kann jetzt mitmachen. Die Anonymität, hinter der versteckt man jede Behauptung in die Welt setzen kann, verlockt dazu, mit einer erfundenen Behauptung oder einem manipulierten Bild eine große Resonanz zu erzeugen. Das ist für viele offenbar attraktiv, es bestärkt das Gefühl der Selbstwirksamkeit, das in der Lebenswirklichkeit vielleicht wenig ausgeprägt ist.
- Die virale Verbreitung von Informationen über das Internet und die sozialen Netzwerke geht rasend schnell und ist kaum aufzuhalten. Es ist unglaublich, wie viel massiv tendenziöse und manipulative Informationen im Netz verbreitet werden. Nur in meinem Blog wurden in drei Jahren 11.318 Spam-Meldungen ausgefiltert und 20.938 Anmeldeversuche blockiert! Das Internet verkommt zur kommunikativen Müllgrube.
- Es gibt Adressaten für Fake News, die in dem Angebot an Informationen verloren sind und die darauf gieren, genau das zu lesen und zu hören, was ihre vorgefasste Meinung verstärkt. Es schimpfen gerade die über die einseitige Lügenpresse, die selbst an Einseitigkeit ihres Weltbildes kaum zu übertreffen sind. Sie wollen nichts zur Kenntnis nehmen, was eine kognitive Dissonanz erzeugen und sie verunsichern könnte.
Sollte man das Verbreiten von Falschmeldungen unter Strafe stellen, wie jetzt in der Politik gefordert wird? Ein entsprechendes Gesetz würde vermutlich eine Welle von Anklagen zu unliebsamen Behauptungen zur Folge haben, denn zwischen gesicherten Tatsachen und deren Interpretation existiert eine Grauzone.
Besonders der Journalismus ist jetzt gefordert, sich auf seine gesellschaftlichen Aufgaben zu konzentrieren: Recherchieren, Berichten, Kommentieren, d. h. Einordnen und Bewerten. Das ist eine schwierige Aufgabe, denn auch Journalisten und Journalistinnen sind auf Quellen angewiesen, auch sie haben Meinungen und Einstellungen. Und es gibt immer verschiedene Bezugsrahmen, in denen Fakten interpretiert werden können. Auch Journalisten und Journalistinnen sind nicht unfehlbar, aber sie müssen Vorbilder im Umgang mit Informationen sein. (14.12.2016)
Nachtrag: Zwei Artikel zum Thema: „Gegen Fake News hilft kein Gesetz“ von Sascha Lobo auf SPIEGEL Online. Und ein Ratgeber: „Alles was sie jetzt über Fake News wissen müssen“ auf der Satiresite „Der Postillon“.
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