Beim Aufräumen sind sie mir wieder in die Hände gefallen: Notizbücher, Kladden, Hefte, die sich im Laufe des Lebens angesammelt haben. Ich trage immer ein Büchlein bei mir, in das ich einen flüchtigen Gedanken eintragen kann. Blättere ich die alten Notate durch, so sind viele banal, aber es gibt auch Blitzlichter des Geistes. Oft sind es nur Stichworte, deren gedanklichen Kontext ich nach einige Zeit selbst nicht mehr rekonstruieren kann, es bleiben oft Gedankeninseln. Die Notate sind von der Sorge angetrieben, dass ein kreativer und nützlicher Gedanke verloren gehen könnte. Notieren ist autistisch, mir wäre es peinlich, wenn eine Notizheft anderen in die Hände fiele.
Der Kommunikationswissenschaftler Hektor Haarkötter hat ein Buch über die Kulturgeschichte des Notierens vorgelegt, in der er nicht nur berühmte Notierer wie Leonardo da Vinci, Georg Christoph Lichtenberg oder Ludwig Wittgenstein untersucht, sondern an dem Material auch eine Theorie des Notizzettels als Form von Kreativität und Schreiben entwickelt. Das Denken mithilfe von Notizen ist fragmentarisch, unabgeschlossen, flüchtig. Aber aus geordneten Notaten in Zettelkästen oder an Pinwänden entstehen auch zusammenhängende Werke, z.B. bei Niklas Luhmann oder Arno Schmidt. (14.03.2022)
Hektor Haarkötter: Notizzettel. Denken und Schreiben im 21. Jahrhundert. Frankfurt am Main: S. Fischer.
Eine Halde von Notizen: Sätze, Stichworte, Verweise. Meist mit Bleistift schnell niedergesudelt, in der Bahn, in Vorträgen, im Café. Foto: St.-P. Ballstaedt
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