Oulipo

Die im letzten Beitrag  vorgestellt Literatur in Leichter Sprache kann als ein oulipotischer Versuch eingeordnet werden. Oulipo ist ein Akronym für L‘ Ouvroir de Littérature Potentielle“, übersetzt etwa „Werkstatt für Potentielle Literatur“, einem Zusammenschluss vorwiegend französischer Autoren, gegründet 1960 von Raymond Queneau und Francois Le Lionnais. Ihm gehören z.B. Italo Calvino, Marcel Duchamp und Oskar Pastior an. Die Mitglieder bleiben auch nach ihrem Ableben Mitglieder, sie sind bei Zusammenkünften wegen Todes entschuldigt.

Das Anliegen von Oulipo ist eine Erweiterung sprachlicher Möglichkeiten durch selbstgesetzte Schreibregeln, die von sprachlichen Routinen befreien und zu kreativen Ausdrucksmöglichkeiten führen sollen. Ein kurioses Beispiel ist der Roman »La Disparition« von Georges Perec, der den Buchstaben „e“ nicht benutzt. Er wurde unter dem Titel »Aton Voyls Fortgang« ebenfalls ohne „e“ ins Deutsche übersetzt (erschienen 1986 bei Zweitausendeins). Hier eine Leseprobe:

„Macht war somit durch Abschaffung und Auslöschung unmöglich: zwo Tag darauf schoß man mit Tanks vom Quai d’Anjou aus aufs Dach vom Turm Sully-Morland, wo Magistrat und Administration Zuflucht fand. ’N Amtsrat ging bis hinauf aufs Dach, winkt mit’ m Tuch, das grau und farblos war, und tat durchs Mikrophon kund, daß man schlicht und schmucklos abdankt, und bot dann, für sich, sofort Kollaboration an. Doch das nützt ihm nichts, man tat, was schon in Planung war, man griff mit Sturmtanks an, rücksichtslos, und da gabs nicht Mahnung noch Ultimatum.“

Die Herkunft der Idee des kreativen „contrainte“ aus der Pataphysik des Alfred Jerry und dem Surrealismus ist unverkennbar. Schreiben in Leichter Sprache kann als ein derartiger oulipotischer Zwang gesehen werden. (23.07.2020)

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