Authentische Zeugnisse

Was fällt an der Überschrift auf? Sie klingt wenig originell, denn diese Wortkombination hat man schon oft gelesen: Zeugnisse werden gern mit dem Adjektiv authentisch verbunden. Derartige geläufige Wortkombinationen oder gefestigte Gebrauchsmuster hat der Journalist Hans Hütt aus mehreren umfangreichen Sprachkorpora gefischt und kommentiert.

Hans Hütt: Wilde Jahre, kühne Träume. Sprache im Wandel der Zeit. Berlin: Dudenverlag, 2020

Behandelte Wortverbindungen sind z.B. allmähliche Einsicht, bewegte Bilder, digitale Aufrüstung, gescheiterte Existenz, kluger Kopf, massiver Druck, notwendiges Umdenken, vergessener Winkel. Derartige Phrasen sind beliebt, vor allem wenn es mit dem Schreiben schnell gehen muss, aber sie sind rhetorisch wenig originell. Die Adjektive verraten etwas über die Konnotationen des Substantives. Ein Beispiel, das ich von Hans Hütt übernehme (S. 12): Die Wörter Neigung, Talent, Gabe, Interesse sind bedeutungsähnlich. Aber Neigung wird mit den Attributen fatal, schädlich, sexuell, sadistisch, pädophil kombiniert. Gabe und Talent hingegen mit besonders, kostbar, hoffnungsvoll, vielversprechend, göttlich, einzigartig. Neigung hat also eine abwertende Konnotation, Gabe und Talent haben hingegen positive Konnotationen. Die Bedeutung von Interesse ist weitgehend neutral: Interessen sind groß, rege, öffentlich, berechtigt. Hans Hütt empfiehlt deshalb, in einem Lebenslauf nicht von persönlichen Neigungen zu sprechen, sondern von persönlichen Interessen. (09.11.2020)

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