Die 3. Aufklärung

Ein kleines Büchlein hat mich wieder einmal angeregt, über philosophische Aufklärung nachzudenken.

Michael Hampe: Die Dritte Aufklärung. Berlin: Nicolai Publishing & Intelligence GmbH, 2018.

Aufklärung ist keine abgeschlossene Epoche, sondern eine andauernde geistige Bemühung der Menschen, sich aus selbstverursachten Zwängen und Abhängigkeiten zu befreien. Aufklärung ist ein Projekt kontinuierlicher Emanzipation. Hampe fordert nach zwei Phasen in der europäischen Geistesgeschichte eine dritte Phase der Aufklärung.

Die Erste Aufklärung in der griechischen Antike ist verbunden mit den Philosophen Xenophanes, den Sophisten, Sokrates (5. Jh. vor Christus). Ihnen geht es um Distanzierung von den vielen menschenähnlichen Göttern, denen man huldigen muss. Und es handelt sich nach Hampe um eine argumentative Revolution: Konflikte sollen nicht mehr mit Gewalt und Krieg gelöst werden, sondern mit Argumentation.

Die Zweite Aufklärung beginnt im 16. und hat ihren Schwerpunkt im 18. Jahrhundert: Der Mensch befreit sich von sozialen und ideologischen Fesseln. Immanuel Kant verlangt von Menschen Mündigkeit als Fähigkeit, selbst zu denken, statt sich Religionen, Autoritäten oder auch dem Bauchgefühl anzuvertrauen. Empirische Wissenschaft und Wissen statt Meinungen, Aberglaube und Glauben. Ein weiteres Thema: Toleranz gegenüber anderen Kulturen und Weltanschauungen (Locke, Voltaire).

Eine Dritte Aufklärung ist jetzt notwendig. Die derzeitigen Probleme wie Klimawandel, Pandemie, Digitalisierung, künstliche Intelligenz und noch immer Kriege sind weitgehend menschengemacht. Wir leben im Anthropozän, der Mensch verändert die Erde und ist für sie verantwortlich. Die aufgeführten Probleme sind nur gemeinsam durch ein  „Projekt der globalen und nicht der individuellen oder nationalen Bewusstseinsbildung“ (S. 22) zu bewältigen. Allgemeine Bildung ist dazu eine entscheidende Voraussetzung, die Kommunikationstechnologie zur Verständigung über gemeinsame Ziele ist vorhanden: das WWW. Hampe ist noch ein Ziel wichtig: Die Befreiung von der Vorstellung, „Geschichte laufe nach notwendigen Mustern ab, denen wir nur zuschauen können und die notwendig ins Paradies oder in den Untergang führen.“ (S. 82). Da solche Geschichtsphilosophien (Hegel, Marx, Spengler) derzeit keine Konjunktur haben, will er damit appellieren, dass die Menschen die Welt mitgestalten können, statt dem Lauf der Dinge nur zuzuschauen.

Die Rückbesinnung auf Ideale der Aufklärung ist nicht neu, sondern wird immer wieder erhoben. Aber Hampe wärmt nicht die alten Grundsätze auf, sondern definiert konkrete Aufgaben für eine dritte Phase der Aufklärung. Einen ähnlichen Ansatz vertritt der Kognitionspsychologe Steven Pinker.

Steven Pinker: Aufklärung jetzt. Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt. Eine Verteidigung. Frankfurt am Main: S. Fischer, 2018.

Die Ansicht, dass wir an der Schwelle zu einer dritten Phase der Aufklärung stehen, verlangt bei der Lage der Welt schon einen gewissen Optimismus. Mit der Diskussions- und Verständigungskultur steht es ja derzeit nicht zum besten. (17.06.2020)

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