Historischer Humor 7

In einem Theaterstück des Lindenhofes in Melchingen über Hölderlin, Schelling und Hegel, das derzeit in Tübingen aufgeführt wird, wird ein Vers vorgetragen, der mir nicht unbekannt vorkam und dem ich deshalb nachgegangen bin:

Bonifazius Kiesewetter war ein Schweinehund seit je,
und so schiss er der Baronin heimlich in das Portemonnaie.
Hin zu einem Bücherladen lenkt sie ihren Schritt indes,
kaufte, da sie hochgebildet, etwas sehr Ästhetisches.
Als die Dame zahlen wollte, und sie zahlte stets in bar,
griff sie in die blanke Scheiße, was ihr äußerst peinlich war.

Moral und christliche Nutzanwendung:
Nur ungern nimmt der Handelsmann
Statt baren Geldes Scheiße an.

Bonifazius Kiesewetter ist eine Witzfigur wie die Frau Wirtin oder der Sanitätsgefreite Neumann, erfunden von Waldemar Dyhrenfurth (1849 – 1899), einem Corpsstudenten und späteren Staatsanwalt im deutschen Kaiserreich. Die Verse haben eine strenge poetische Form: Dreimal zwei achthebige Trochäen im Paarreim, dann folgt als moralischer Kommentar noch ein trochäischer Zweizeiler.

Überraschend ist nicht nur die gepflegte sprachliche Form, sondern auch der ihr widersprechende zotische Inhalt. Es wird eine unsinnige Geschichte aus dem fäkalischen oder sexuellen Bereich erzählt, die Handelnden sind Vertreter des Adels, der Beamtenschaft oder des Militärs. Aus der obzönen Geschichte wird dann eine widersinnige Schlussfolgerung gezogen, die die geltenden Moral- und Benimmvorstellungen der gehobenen Gesellschaft veralbert. Einige dieser Moralreime haben sich als Nonsensverse erhalten:

Scheiße in der Lampenschale gibt gedämpftes Licht im Saale.
Scheiße auf dem Tellerrand wird als Senf nicht anerkannt.
Scheiße durch ein Sieb geschossen gibt die schönsten Sommersprossen.

Die Bonifazius-Kiesewetter-Verse waren im 19. Jahrhundert vor allem in akademischen Kreisen überaus beliebt. Eine Sammlung wurde noch 1967 auf den Index gesetzt mit der Begründung: „Was in dieser Sammlung an häßlichen und ekelerregenden Eindrücken über geschlechtliche Dinge vermittelt wird, verdunkelt mit seinen Schatten die Zukunft der Menschen.“ Einen durchaus positiven Nachruf auf die Verse hat der Humorkritiker der titanic, Herr Hans Mentz, im Märzheft 2007 geschrieben. (06.08.2017)

2 Responses to Historischer Humor 7

  1. SP Ballstaedt 7. August 2017 at 15:07 #

    Danke für den Tipp! Das ist doch wieder ein schönes Beispiel, wie Kulturgut von einem Milieu in das andere wandert!

  2. uli 7. August 2017 at 10:30 #

    Und Schobert & Black haben mit Ulrich Roski in den 70ern aus dieser einzigen Zeile einen ganzen Song gemacht

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