Projektion

Die Bilder der amerikanischen Malerin Georgia O’Keefe kennt wahrscheinlich jeder von Kunstpostkarten, ihre Blumenbilder sind beliebte Motive. Jetzt kann man einen Ausschnitt aus ihrem Gesamtwerk in der Fondation Beyerle in Basel besichtigen. Dabei wird schnell deutlich, dass man die Malerin keineswegs auf ihre Blumen festlegen kann, ihr Werke umfasst auch viele abstrakte Gemälde, Landschafts- und Städteansichten, Steine und Knochen, nur Menschen hat sie überhaupt nicht gemalt.

Betrachtende Ihrer Blumengemälde haben immer wieder eine erotische Ausstrahlung bemerkt, manche gehen soweit, in den Blumen verschleierte Darstellungen weiblicher Genitalien zu sehen. Sigmund Freud war 1909 in den USA und hatte seine Psychoanalyse dort vorgestellt und den erotisierten Blick auf die Blumenbilder verstärkt. Feministinnen haben O’Keefe als Urheberin einer weiblichen Ikonographie gefeiert, sie selbst hat diese Interpretationen abgelehnt.

Hat man die erotische Brille auf, dann erkennt man auch in den Landschaften plötzlich anatomische Hautfalten, Schenkel, Schamhaare und dergleichen. Man kann darin die Wirkung der Projektion erkennen. Wer ein Bild betrachtet, der nimmt nicht nur visuelle Inhalte auf, sondern schaut auch Inhalte in das Bild hinein. Mit den abstrakten Tintenklecksen im Rorschach-Test wird das als diagnostisches Mittel ausgenutzt. (22.05.2022)

Vor dem Gemälde „White Iris No. 7“ (1957). Eine harmlose Blume oder eine  lüsterne Blüte? Foto: St.-P. Ballstaedt

Nachtrag: Fotos aus dem Tübinger Botanischen Garten, inspiriert von der Malerin O’Keefe. Fotos: St.-P. Ballstaedt (26.05.2022)

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