Verflucht, verdammt und zugenäht!

Malediktologie nennt sich ein Zweig der angewandten Psycholinguistik, es geht um die Wissenschaft vom Fluchen und Schimpfen oder die Psychologie der verbalen Aggression. Als vorweihnachtlicher Beitrag hier die etymologische und pychologische Analyse von vier beliebten Flüchen:

Verpiss dich!

Pissen ist seit dem 14. Jahrhundert vermutlich lautmalerisch entstanden, denn Kleinkinder motiviert man mit „Ps, Ps“ zur Abgabe des Harns. „Sich verpissen“ hat die Bedeutung „sich unbemerkt zurückziehen“, ursprünglich auf den Abort. Gegen 1840 kommt der Ausdruck in der Soldaten- und Jugendsprache auf. Ein Verpisser ist ein Mann, der sich unangenehmen Aufgaben entzieht.

Mit dem Ausdruck wünscht man, dass eine Person aus dem Gesichtskreis verschwindet. Dazu würde „Hau ab!“ ausreichen. Verpiss dich verweist aber auf den Ab-Ort, an den man jemanden wünscht: Auf die Toilette, die als eher unsauberer und tabuisierter Raum gilt, wo man sich nicht lange aufhält.  „Verpiss dich!“ impliziert damit eine Herabsetzung oder Beleidigung einer Person, mit der man nichts zu tun haben möchte. Der Befehlston drückt Dominanz und Durchsetzungsfähigkeit aus (Song von Tic Tac Toe: Verpiss dich! 1996).

 Es gibt andere Ausdrücke, die einen unliebsame Person an einen entfernten Ort wünschen: „Fahr zur Hölle!“, „Geh zum Teufel!“ oder früher: „Geht hin, wo der Pfeffer wächst“. Diese Redewendung ist erstmals 1512 dokumentiert, damals war damit Indien gemeint und das war das Ende der bekannten Welt. Kolumbus wollte ja bekanntlich nach Indien.

Fuck, fucking!

Ein Anglizismus aus dem Englischen. So ganz geklärt ist die Herkunft des Wortes nicht, man vermutet die Quelle im Altgermanischen mit der ursprünglichen Bedeutung „schlagen“. Erst im 16. Jahrhundert lässt es sich als Vulgärausdruck nachweisen. In einer Umfrage in der britischen Bevölkerung belegte fuck den dritten und der abgeleitete Begriff motherfucker den zweiten Platz in der Liste der übelsten Schimpfwörter. Im englischen Sprachraum gibt es zahlreiche Fluchvarianten mit dem dirty F-Wort.

Im Deutschen gibt es erstaunlich wenige Flüche, die sich auf das Sexuelle beziehen. Ein vergleichbarer Fluch ist “verfickt“, der aber wenig gebräuchlich ist. Wie religiöse Flüche wird hier ein Tabu oder zumindest eine soziale Norm gebrochen, indem ein in der Alltagssprache schmutziges Wort benutzt wird. Das F-Wort ist besonders in puritanisch geprägten Gegenden eine kleine Provokation, verweist es doch auf einen triebhaft-sündigen Akt auch noch mit einem vulgären Wort. Rapper und Rockmusiker verwenden es gern in ihren Texten, die Stelle wird dann im Radio mit einem Beep überdeckt.

„Fuck“ oder „Fucking“ ist vor allem in der Jugendsprache geläufig, aber die sexuelle Bedeutung (Konnotation) hat sich verflüchtigt, das Wort dient vor allem der Verstärkung einer emotionalen Aussage. Der Ausdruck bestätigt oft eine Gruppenzugehörigkeit und grenzt von den seriösen Erwachsenen ab. Obszöne Flüche, die gesellschaftliche Normen verletzen, werden häufig von Männern, genutzt, um als echte Kerle und harte Knochen zu gelten (Rapper, Rocker, Kriminelle). Bei Frauen signalisiert es oft eine Anpassung an dieses Stereotyp der Männlichkeit oder Emanzipation vom klassischen Frauenbild.

Scheiße!

 Das Wort stammt aus dem Mittelhochdeutschen „schizen“, seit dem späten Mittelalter ist es gebräuchlich. Scheiße ist das verbreitetste Fluchwort in Deutschland, es kommt in zahllosen Redewendungen und Komposita vor: „Scheißwetter“, „scheißfreundlich“, „Scheißjob“, „Besser als in die Hand geschissen“, „Scheiße bauen“, „jemanden aus der Scheiße holen“, „bescheißen“. Neutralisierte Form: „Scheibenkleister“. Die Zischlaute eignen sich besonders zum emotionalen Ausdruck.

 Auch hier wird mit der Verwendung ein Tabus gebrochen, indem ein Wort aus der Vulgärsprache benutzt wird. Der Ethnologe Alan Dundes hat in einem Buch viele Belege aus der deutschen Sprache zusammengetragen, die einen analen deutschen Nationalcharakter belegen sollen. „Scheiße“ ist in allen sozialen Schichten so verbreitet, dass es seine vulgäre abwertende Bedeutung fast eingebüßt hat und rhetorisch als Verstärkung einer Aussage verwendet wird: Scheißwetter, beschissene Lage usw. Die Verwendung eines Fluchwortes erreicht kommunikativ immer die Zuwendung von Aufmerksamkeit. Es wird deshalb auch eingesetzt, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, gerade in Kontexten oder bei Personen, bei denen man es nicht erwartet. „Scheiße“ ist das Passepartout der Flüche, denn es eignet eigentlich für jede Situation, wenn einem etwas nicht in den Kram passt oder etwas schiefgeht.

Verdammt!

 Lateinisch „damnare“ bedeutet „verurteilen“, „schuldig sprechen“, „strafen“, das Wort stammt also aus dem juristischen Bereich. In dieser Bedeutung wird es ins Althochdeutsche und Mittelhochdeutsche entlehnt. Später bekommt es eine religiöse Bedeutung: Beim ältesten Fluch in der Bibel verflucht Gott die Schlange! „Verdammen“ heißt aus der göttlichen Gnade ausstoßen, von Gott zur Hölle verdammt werden. Gotteslästerliches Fluchen stand früher unter Strafe, es war eine Zungensünde! Als Fluch dann zunehmend säkularisiert, d.h. der religiösen Bedeutung  entkleidet, wie z.B. in dem Lied „Verdammp lang her“ von BAP. Hier hat das Wort nur noch eine verstärkende Funktion: „Es ist heute verdammt kalt.“

Verdammen ist ursprünglich ein kommunikativer Akt: Nur Gott oder ein Herrscher kann jemanden verdammen. Als Fluch wird „verdammt“ aber monologisch verwendet. „Verdammt noch mal!“ ist ein Ausdruck von Unmut und Ärger. Menschen brauchen ein Ventil. Fluchen dient dem Stressabbau bei starken Emotionen, sowohl kommunikativ interpersonal als auch monologisch intrapersonal. Das können negative aber auch positive Emotionen sein. „Verdammt“ kann man auch bei Freude oder Überraschung ausrufen. Fluchen ist eine Art Stress-Management bei Angst und Ärger.

Eine beliebte Steigerungsform ist: „Verdammt und zugenäht!“ Die Wendung stammt aus einem Studentenlied in dem es heißt:

Ich habe eine Liebste, die ist wunderschön,
sie zeigt mir ihre Äpfelchen, da ist’s um mich gescheh’n.
Doch als mir meine Liebste der Liebe Frucht gesteht,
da hab’ ich meinen Hosenlatz verflucht und zugenäht.

Einer anderen Ableitung zufolge wurde der Ausruf gebraucht, wenn beim studentischen Fechten einer der Paukanten einen so schweren Schmiss erhielt, dass er sofort genäht werden musste.

Psychologischer Nachtrag

Die Verwendung eines Fluchwortes dient innerhalb einer Gruppe oft der Herstellung von Gemeinsamkeit und Solidarität, gerade weil sich eine Gruppe sprachlich abgrenzen möchte. Ein Beispiel ist das Wort „geil“. Fluchen reduziert soziale Distanz und verringert soziale Spannungen. Fluchwörter kennzeichnen auch einen bestimmten kommunikativen Stil, z.B. bei Rappern.

Flüche wie „Fuck“, „Verdammt“ oder „Scheiße“ haben aber auch monologisch einen nachweisbaren Effekt: In Experimenten reduzieren sie die Empfindung von Schmerz und erhöhten das Durchhaltevermögen. Fluchen ist deshalb wohl auch ein häufiger Bestandteil des Geburtsvorgangs. Wer sich also mit dem Hammer auf den Finger schlägt, tut gut daran zu fluchen, um den Schmerz zu reduzieren.

Fluchen  und Schimpfen werden im Gehirn getrennt von anderen sprachlichen  Aktivitäten verarbeitet. Dabei sind Teile des limbischen Systems (Basalganglien, Amygdala) unterhalb des Großhirns involviert, in denen die Gefühle lokalisiert sind. Das belegen Fälle von Aphasie, in denen die Sprachfähigkeit verloren ist, aber das Fluchen erhalten bleibt. Dies trifft auch bei Demenz zu.  Das Tourette-Syndrom belegt diese Sonderstellung durch zwanghaftes Fluchen und das unkontrollierte Ausrufen unanständiger Wörter (Koproplalie). Es ist umstritten, inwieweit Fluchen dem Willen unterliegt oder ob es auch reflexhaft, zwanghaft auftritt. (09.12.2022)

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