Deepfakes

Für visuellen Journalismus habe ich mich schon am Anfang meiner Laufbahn interessiert und dazu 1977 einen Aufsatz veröffentlicht.

Ballstaedt, Steffen-Peter (1977). Grenzen und Möglichkeiten des Filmjournalismus in der aktuellen Berichterstattung. Rundfunk und Fernsehen, 25, S. 213-229.

Ein kritischer Punkt darin war die Augenzeugenillusion: Mit einem Pressefoto zeigt ein Fotografen einen Ausschnitt der Wirklichkeit in bestimmter Perspektive und Schärfentiefe. Er legt fest, was man sieht und was man nicht sehen kann. Er konserviert und vermittelt seine Wahrnehmung. Ein Foto ist bereits ein Kommunikat, eine visuelle Erfahrung aus zweiter Hand.

Einen Schritt weiter gehen zielgerichtet manipulierte Fotos, anfangs nur Retuschen, mit denen aber auch schon erhebliche Veränderungen möglich waren: Personen konnten z.B. aus einem Foto entfernt oder Gegenstände hineingestellt werden. Die Bildbearbeitungsprogramme wie z.B. Fotoshop bieten dann eine große Palette an Möglichkeiten, ein aufgenommenes Bild nachträglich zu gestalten. Seriöse Zeitungen markieren ein bearbeitetes Bild mit [M].

Und jetzt können Fotos mittels sprachlichen Eingaben (Prompts) mit KI- Bildgeneratoren generiert werden. Im Netz kursieren täuschend echt wirkende Bilder. Bekannt geworden ist der Papst mit modischer weißer Daunenjacke. Bei der Lage der Katholischen Kirche muss ich der Papst zwar warm anziehen, aber genau hinschauende Spezialisten können Fehler erkennen. Unbedarfte Betrachtende sehen sie nicht auf den ersten Blick.
Und eine weitere Steigerung sind gefakte Videos. Damit lassen sich witzige Botschaften verbreiten, aber auch Lügen und politische Manipulationen. Bewegten Bildern vertraut man noch am ehesten, auch wenn heutige Mediennutzer an special Effects und virtual Realities in Filmen gewohnt sind. Der oder die Mediennutzende kann eine abgebildete Wirklichkeit aber nur noch schwer von einer manipulierten oder generierten Realität unterscheiden. Und jetzt wird es bedrohlich, ja gefährlich, denn diese Medieninhalte lassen sich bewusst zur Desinformation einsetzen, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Man kann den eigenen Augen nicht mehr trauen. (01.01.2024)

Diesen Schnappschuss  habe ich von einem Weihnachtstripp in den Gaza-Streifen mitgebracht. Quelle: Craiyon.

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Kuscheln

Eine hübsches Verb, das schon angenehm klingt. Wo kommt es her? Natürlich aus dem Französischen: „(se) coucher“ bedeutet „sich niederlegen, zu Bett gehen“. Aber das Verb kuscheln ist nicht die erste Übernahme ins Deutsche. Im 17. Jh. wurde das Kommando„Couche!“, dann eingedeutscht„kusch!“ populär, mit dem sich ein Jagdhund lautlos hinlegen sollte. Im 18. Jh. kommt das Verb „kuschen „ auf in der Bedeutung „sich ducken, klein beigeben, unterwürfig sein“. Gekuschelt wird erst um die 1900, das Verb wird in der Bedeutung „sich anschmiegen“ verwendet. Und danach in zahlreichen Komposita: Kuscheldecke, Kuschelecke, Kuscheltier, Kuschelkissen, Kuschelgruppen usw. (28.12.2023)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kuschelbärchen. Quelle: CC0 Public Domain

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KI-Frauen

Es ist nicht verwunderlich, dass Fotografinnen und Fotografen besonders kritisch auf KI generierte Bilder reagieren. So auch in der TAZ Eva Häberle. Sie hat bei den gängigen Bildgeneratoren „Midjourney“ „Stable Fiffusion“, „Dreamstudio“ und „Dall-e“ die Prompts „Frau“ und „Mann“ eingegeben und entdeckt, dass bei „Frau“ Abbildungen junger, weißer, langhaariger Frauen oft in Kombination mit Blumen, Schmetterlingen oder Vögeln generiert werden. Bei „Mann“ hingegen weiße Männer verschiedener Altersstufen in unterschiedlichen Betätigungsfeldern.

Wirklich überrascht ist die Fotografin über ihre Bildergebnisse nicht, denn die Bildgeneratoren bedienen sich aus Bilddatenbanken, Bildagenturen, Websites usw., d.h. die Algorithmen arbeiten mit dem Material, was ihnen zu Verfügung steht, sie reproduzieren unsere mediale Wirklichkeit: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Auch schon bei der Textgenerierung wurden ja rassistische und sexistische Inhalte kritisiert. Warum erwartet und verlangt man von KI-Text- und Bildgeneratoren eine höhere Moral als in der Gesamtgesellschaft? (09.11.2023)

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Gendern im Bild

Ein Ziel der feministischen Linguistik war und ist es, Frauen in der Sprache sichtbar zu machen. Man geht nicht zum Arzt, wenn man von einer Ärztin behandelt wird. Man spricht nicht von Lehrern, wenn Frauen und Männer gemeint sind, sondern von Lehrenden oder wählt eine Doppelnennung bzw. den Gender-Stern oder den Gender-Unterstrich.

Elke Grittmann, Professorin für Medien und Gesellschaft, hat sich mit der Sichtbarkeit von Frauen im Bildjournalismus befasst. Auf der Fachtagung des Journalistinnenbunds e.V. (jb) hält sie einen Vortrag zum Thema „Verantwortung des Journalismus: Gendern im Bild“. Es geht darum, dass Männer und Frauen in den Medien unterschiedlich dargestellt werden. Einmal rein quantitativ, wenn über gesellschaftliche Bereiche berichtet wird, in denen Männer mehr Macht und Einfluss haben. Aber auch qualitativ. Die Professorin sieht ikonografische Konventionen: So werden Männer frontal und bildfüllend, Frauen eher am Bildrand und in unstabiler Haltung abgebildet. Mit meinen Wahrnehmung stimmt diese empirische (?) Analyse nicht überein. Sicher werden aber in Fotos von Frauen Geschlechterklischees und Sexismus verbreitet. So spielt das Aussehen und die Kleidung bei Frauen noch immer eine große Rolle. Aber auch hier nehme ich Veränderungen wahr, z.B. in der medialen Darstellung von Annalena Baerbock oder Ricarda Lang. Es würde mich schon interessieren, wie ein korrekt gegendertes Foto einer Frau aussehen soll. (28.11.2023)

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Prökel

Ausgerechnet in einem politischen Kommentar bin ich dem Verb „prökeln“ begegnet, das ich vorher noch nie gehört habe. Es ist ein plattdeutscher Ausdruck mit der Bedeutung „stechen, stochern“ und wird in zahlreichen Wendungen verwendet: „Muttst di nich in de Nääs prökeln“ will Kindern beibringen, nicht in der Nase zu bohren. Man kann aber auch lustlos im Essen herumstochern: „Wat prökelst du dor wedder in`t Eten rüm“. Oder lange für eine Arbeit brauchen: „He prökelt dor ewig an rüm.“ Das Substantiv „Prökel“ bezeichnet verschieden Arten von Stochergeräten: Piepenbrökel für Pfeifenreiniger oder Tähnbrökel für Zahnstocher. Das Verb „bröckeln“ ist die hochdeutsche Variante. Mich erinnert „prökeln“ auch an das ähnliche Verb „bröseln“. Ein Brösel ist eine Verkleinerungsform (ein Diminutiv) zu Brosame. (13.11.2023)

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Goofy

Das Jugendwort des Jahres 2023 ist das Adjektiv „goofy“. Seine Bedeutung wird so angegeben: tollpatschige, alberne Verhaltensweise einer Person, die andere amüsiert. Natürlich war die bekannte Disney-Figur hier das Vorbild. Die Wahl zum Jugendwort wird immer wieder kritisiert: 1. Die Erhebungsmethode wird als problematisch angesehen, denn jeder oder jede kann Vorschläge einreichen, aus denen von einer Jury eine Liste der TOP 10 erstellt wird. Diese wird dann zu einer Liste der TOP 3 eingegrenzt. Wie das geschieht, bleibt unklar. Aus dieser Liste dürfen Jugendliche zwischen 10 und 20 Jahren auf der Langenscheidt-Website wählen. 2. Die Ermittlung des Jugendwort des Jahres wird vor allem als ein effektives Marketing des Langenscheidt-Verlags angesehen, das keinen validen Einblick in die Sprachgewohnheiten der Jugendlichen biete. 3. Es wird bezweifelt, ob Jugendliche wirklich so sprechen, oft ist das Wort in weiten Kreisen gar nicht bekannt.

„Goofy“ ist ein nettes Wort, problematische Wörter werden ohnehin aussortiert: „So dürfen die Begriffe keinerlei Diskriminierung zum Ausdruck bringen. Einreichungen mit beleidigendem, rassistischem, sexistischem und homophobem Bezug sowie offensichtliche Kampagnen einzelner Personen(gruppen) oder Organisationen, deren Wörter nicht als repräsentativ für die Jugend in Deutschland anzusehen sind, werden ausgeschlossen.“  In diesem Jahr z.B. Stolzmonat, Vitacraft, Peufrä. (31.10.2023)

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Signal for help

Es ist nicht einfach, eine treffende Geste zu erfinden, ihr eine eindeutige Bedeutung zuzuweisen und auch bekannt zu machen. Die Canadian Woman’s Foundation hat 2020 während der COVID-19-Pandemie ein Handzeichen eingeführt, mit dem einer anderen Person signalisiert werden kann, dass man sich bedroht fühlt, ohne auffällige Sprache zu benutzen.

Die Innenseite einer Hand wird gezeigt, bei der der Daumen in die Handfläche gelegt ist, während die übrigen Finger zunächst gestreckt bleiben, dann aber nach unten über den Daumen gelegt werden. Quelle: Wikimedia Commons.

Der Daumen wird durch die umschließenden Finger sozusagen gefangen. Die Geste wurde bewusst als Bewegung konzipiert, damit sie leichter Aufmerksamkeit erregt. Problem: Wenn das Zeichen verbreitet ist und verstanden wird, dann kennen es auch potentielle Täter. Ursprünglicher Einsatz war die häusliche Gewalt, aber inzwischen hat sich die Geste nach Angabe der Polizei auch bei anderen Notlagen bewährt.(22.10.2023)

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Historischer Humor 17

Da die moderne Zahnmedizin mit Kronen, Brücken und vor allem Implantaten für lückenlose Zahnreihen sorgt, gerät ein Witzgenre in Vergessenheit: der Gebisswitz. Es gab zahlreiche Witze, die sich über Misslichkeiten und Peinlichkeiten von Zahnprothesenträgern und – trägerinnen  lustig machen:

Herr Ober! In meinem Salat liegt ein Gebiss!” – “Oh, laffen Ffie mal ffehen!”  

Hier mein schwäbischer Lieblingsgebisswitz aus der Sammlung Tübinger Gogen-Witze von Heinz-Eugen Schramm (1973, S. 31). Allerdings in einer für Nicht-Schwaben sprachlich leicht überarbeiteten Fassung. Triggerwarnung: Alkoholismus, Fäkalien, Diskriminierung einer sozialen Minderheit, Altersdiskriminierung.

Der Frieder zecht ausgiebig mit seinen Saufkumpanen und muss sich übergeben. Dabei fällt ihm das künstliche Gebiss in den Plumpsabort. Jammernd kommt er an den Stammtisch zurück: „Macht nix“ sagt der Wirt, „heute morge erst hot mer den Abtritt geleert, nimmst halt e Leiter und steigst na, noh fendst dei Gebiss fei wieder.“ Der Frieder folgt diesem Rat. Da er jedoch länger nicht mehr auftaucht, werden seine Kameraden unruhig: „’s wird ihm doch nix passiert sei!“ Einer geht auf den Abort und ruft hinunter: „Was isch, Frieder, host dei Gebiss g’fonde?“- Von unten tönt es: „Doch, doch schon drei ond älle han i probiert, aber kois will passe!“

Der Gebisswitz überlebt noch im Genre der Rentnerwitze, spielt aber dort nur eine marginale Rolle (21.10.2023).

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Augenblicke

Dass der Blick ein wichtiger Bestandteil der zwischenmenschlichen Kommunikation ist, das belegen viele Redensarten: „Jemandem nicht in die Augen sehen können“ oder „Jemandem tief in die Augen sehen.“ Der Blick wurde deshalb auch in Philosophie und Psychologie oft thematisiert, allerdings mit unterschiedlicher Bewertung. Ein langer Blick kann Zuneigung ausdrücken (Flirten), aber auch Aggression und Dominanz (Anstarren). Eine Blickdauer von 3,2 Sekunden wird als angenehm empfunden, darunter als Zeichen des Desinteresses, darüber als Zeichen der Aufdringlichkeit (Binetti et al., 2016). „Jemanden keines Blickes würdigen“, die Verweigerung des Blickkontaktes ist eine radikale Ablehnung eines anderen Menschen.

In der Philosophie ist die Interpretation des Blicks durch Jean Paul Sartre verbreitet: das Vom-Anderen-gesehen-werden als existentielle Erfahrung. Der fremde Blick macht mir die radikale Getrenntheit, aber auch die Abhängigkeit von anderen Menschen deutlich. Ich kann andere beobachten und damit zum Objekt machen, oder selbst beobachtet werden, und zum Objekt werden.

Das ist sicher eine einseitige Interpretation, denn das Anblicken und das Angeblicktwerden zeigt auch Aufmerksamkeit und Interesse am anderen, es kann auch Zeichen der Verbundenheit sein. Als Extrem denkt man dabei an „die Liebe auf den ersten Blick“, die immerhin etwa ein Drittel der Menschen schon einmal erlebt hat (vorwiegend Männer). Dass Augen „sprechen“ und ein „Fenster zur Seele“ darstellen, kann mit Augenbildern isoliert vom Gesicht bewiesen werden: Mit großer Zuverlässigkeit werden elementare Emotionen abgelesen: Freude, Überraschung, Verärgerung, Furcht, Trauer. Die Größe der Pupille hängt vom Grad der Erregung ab, Personen mit erweiterter Pupille werden als attraktiver eingeschätzt, deshalb der kosmetische Einsatz von Belladonna. (16.10.2023)

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Elegant gendern

In diesem Blog habe ich schon mehrfach betont, dass die Richtlinien einer feministischen Linguistik kommunikative vernünftig sind: 1. Sprachliche Sichtbarmachung: Wo von Frauen die Rede ist, muss dies auch sprachlich zum Ausdruck kommen. 2.Sprachliche Symmetrie: Wo von Frauen und Männern die Rede ist, müssen beide verbal gleich behandelt werden. Kritisch sehe ich aber, wenn der Lesefluss und die Verständlichkeit durch Wortbildungen und Satzkonstruktionen leidet.

Der germanistische Altmeister Hans Jürgen Heringer hat eine Stilfibel zum Gendern geschrieben, die er selbst im Vorwort als „munter und pfiffig“ anpreist. Tatsächlich fehlt der Pulverdampf von feministischen Geschlechterkämpfen völlig. „Unser Stil sind nicht Verbote oder Wörter aus der Sprache tilgen (was ja sowieso nicht gelingt). Wir regen an, produktiv mit Problemen umzugehen, sie elegant zu umgehen“ (S.17). Heringer bringt auch keine neuen Vorschläge, aber er zeigt an vielen Beispiele, wie man kommunikativ aufmerksam, mit sprachlicher Kreativität und mit historischen Wissen adäquate Formulierungen unter Berücksichtigung des Einzelfalls finden kann. Also kein Regelwerk mit starren Vorschriften, sondern Gedanken über den Gebrauch von Sprache.

Der einzige Kritikpunkt: Der oder die gewöhnliche Schreibende verfügt nicht über das historische Wissen und die Sprachkompetenz, um einen eigenen geschlechtergerechten Stil zu entwickeln. (12.10.2023)

Tatsächlich ein gut gewürzter Text: Hans-Jürgen Heringer: Stil- und geschlechtergerecht. Eine moderne Stilfibel. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2023.

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