Prekäres Wortfeld

In der Schweizer Umsonstzeitung „20 Minuten“ habe ich erstmals das durchaus treffende Wort „Randständige“ für obdachlosen Personen gelesen. In meiner Diplomarbeit schrieb ich 1974 über Nichtsesshafte, Obdachlose oder Wohnsitzlose, so die offiziellen amtlichen Bezeichnungen. In der NS-Zeit waren es Wohnungslose. Frühere Bezeichnungen betonten das Umherstreifen: Vaganten und Vagabunden, dann Land- und Stadtstreicher, Stromer, im Amerikanischen Tramps.

Mit der Bezeichnung „Zwangs- oder Notwanderer“ wurde der gesellschaftliche und ökonomische Hintergrund thematisiert. Die Alltagssprache greift auffallende Verhaltensformen auf: Pennbrüder, Penner, Verwahrloste, Gammler, Schnorrer, Arbeitsscheue.

Die Betroffenen selbst nannten sich Kunden, seit 1828 ist das Wort in Rotwelsch mit der Bedeutung „wandernder Handwerksbursche, Bettler, Landstreicher“ belegt. Einer von ihnen, Gregor Gog gründete 1927 in Stuttgart die „Internationale Bruderschaft der Vagabunden“ und die Zeitschrift „Der Kunde“. 1929 wurde auf dem Stuttgarter Killesberg der erste Vagabunden-Kongress veranstaltet. Ein weitere Selbstbezeichnung seit den 80er-Jahren ist “Berber”.

Im Östereichischen und auch in Bayern ist die Bezeichnung “Sandler” verbreitet, woher sie kommt, habe ich noch nicht herausbekommen.

Bei den französischen Clochards ist die Etymologie nicht geklärt, entweder von clocher = hinken, oder von la cloche = die Glocke. Angeblich wurde sie nach einem Rechtsgrundsatz geläutet, wenn die Armen bei Marktschluss die auf dem Boden liegenden Reste aufsammeln durften. (14.10.2019)

Die Geschichte vom Vagabunden Gregor Gog ist als Comic erschienen: Johann Ulrich/ Bea Davies/ Patrick Spät: Der König der Vagabunden und seine Bruderschaft. Berlin: Avant Verlag, 2019.

2 Responses to Prekäres Wortfeld

  1. SP Ballstaedt 25. Oktober 2019 at 8:03 #

    Das war mir nicht aufgefallen, aber ich werde nich recherchieren, um welche Schreibschrift es sich handelt.

  2. Wolfgang Scherer 24. Oktober 2019 at 17:22 #

    Der Titel des Buches hat die gleiche Handschrift wie viele der Programme der “Illustrierte Film-Bühne”. Ich habe gleich mal recherchiert, ob es den gleichen Titel als Film und eben auch als Filmprogramm gäbe – dies ist nicht der Fall. Aber die Übereinstimmung ist wirklich verblüffend.

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