Jeder, der etwas Geistreiches über Bilder sagen möchte, zitiert die Sentenz: Ein Bild ist mehr wert als tausend Wörter. Angeblich handelt es sich um ein chinesisches Sprichwort. Als ich vor Jahren Chinesen unterrichtete, wollte ich mit der Kenntnis des Sprichwortes punkten, aber kein Chinese hatte es je gehört. Das machte mich misstrauisch und ich begann zu recherchieren. Wo kommt der Ausspruch her?
1. Nicht das Sprichwort, aber die Idee als Vorläufer findet man bereits 1862 in Turgenev Roman „Vater und Söhne“: The drawing shows me at one glance what might be spread over ten pages in an book“.
2. Das Sprichwort ist eine Erfindung des amerikanischen Werbefachmanns Frederick R. Barnard. In der Fachzeitschrift Printers´ Ink schrieb er 1921 „One look is worth a thousand words“, um für Bildreklame auf Straßenbahnen zu werben. Der Satz stammt angeblich von einem berühmten japanischen Philosophen. 1927 gestaltet er eine weitere Anzeige zu Backpulver, die das Sprichwort von tausend auf zehntausend Wörter erweitert und jetzt als chinesische Weisheit ausgegeben wird. Später wird Barnard in einem Buch über Sprichwörter mit dem Bekenntnis zitiert, dass er den Satz als asiatisches Sprichwort bezeichnet hat, damit er ernst genommen wird. Tatsächlich wird der Satz später sogar Konfuzius zugeschrieben.
3. Die Sentenz verbreitet sich in zahlreichen Abwandlungen und Kontexten. Im deutschen Sprachraum taucht der Satz „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ bereits 1926 als Titel eines Artikels von Peter Panter = Kurt Tucholsky in der Zeitschrift „Uhu“ auf. Er schreibt dort: „Ein Bild sagt mehr … Hunderttausend Worte wenden sich an den Verstand, an die Erfahrung, an die Bildung – das Bild …
»Was ihm die Schrift nicht sagen kann, das ist das G’mäl’ für den g’meinen Mann.«
Wenn der alte treffliche Ferdinand Kürnberger die Entwicklung der modernen Illustrationspresse hätte voraussehen können, so hätte er wahrscheinlich nicht schlecht geflucht: er hielt diese Abkürzung der Beweisführung für Verflachung. Und weil ein Bild mehr sagt als hunderttausend Worte, so weiß jeder Propagandist die Wirkung des Tendenzbildes zu schätzen: von der Reklame bis zum politischen Plakat schlägt das Bild zu, boxt, pfeift, schießt in die Herzen und sagt, wenns gut ausgewählt ist, eine neue Wahrheit und immer nur eine. Es gibt Beschreibungen, die die Bilder übertreffen, aber das ist selten. Es gibt hunderttausend Fotografien, die den besten Schilderer übertreffen, das ist die Regel …“
Fazit: Kein chinesisches Sprichwort. Das bestätigt auch das Ostasieninstitut. (12.11.2015)
Werbung 1927: Die Geburt eines chinesischen Sprichworts. Beliebt und weise, aber nicht immer chinesisch. Quelle: University of Regina
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