Benedikt Lutz (2015). Verständlichkeitsforschung transdisziplinär. Plädoyer für eine anwenderfreundliche Wissensgesellschaft. Wien: Vienna University Press.
Benedikt Lutz ist Sprachwissenschafter mit praktischen Erfahrungen aus zahlreichen Projekten, in denen es auch um Verständlichkeit ging. Diese Tätigkeiten sind in das Buch integriert, es stellt sozusagen die Summe seiner bisherigen Erkenntnisse dar. Der Untertitel verweist darauf, dass der Bedarf nach verständlicher Kommunikation in globalisierten Wissensgesellschaften zunimmt und nur durch transdisziplinäre Forschung befriedigt werden kann. Transdisziplinarität ist eine Leitidee des Buches. Dieser wissenschaftstheoretische Begriff wurde von Jürgen Mittelstraß propagiert, um aus der Sackgasse der üblichen additiven Interdisziplinarität herauszukommen, bei der jeder Vertreter mit seiner disziplinären Brille auf ein Thema blickt. Transdisziplinäre Forschung geht von konkreten Problemen aus, die sich nicht in den durch die Wissenschaftsgeschichte gezogenen Fachgrenzen lösen lassen. Verständliche Kommunikation ist ein solches Problem, da hier rhetorische, linguistische, kognitionspsychologische, kommunikationswissenschaftliche, soziologische Disziplinen integriert werden müssen. Bisher laufen viele Forschungsstränge parallel nebeneinander her, andere Ansätze werden teils nicht zur Kenntnis genommen, teils mit scharfer Kritik abgewehrt. Ich selbst war an ermüdenden Diskussionen zwischen Kognitionspsychologen und Linguisten beteiligt, um ein gemeinsames Projekt zur Verständlichkeit auf den Weg zu bringen. Es ist gescheitert. Trotz seiner transdisziplinären Ausrichtung ist aber nicht zu überlesen, dass Lutz doch die angewandte Linguistik besonders am Herzen liegt.
Der Autor diskutiert Verständlichkeit in einem breiten gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Rahmen. Nicht nur die Ansätze der klassischen Disziplinen werden referiert, sondern auch aktuelle Beiträge aus Information Design, Wissenskommunikation oder Usability Engineering. Es wird auf zahlreiche Anwendungsfelder Bezug genommen: Recht, technischen Dokumentation, Softwarentwicklung. Es geht nicht nur um Print-Texte, sondern auch um multikodale Textsorten vom Gesetzestext über Bedienungsanleitungen bis zum Formular.
Nach der umfangreichen und sorgfältigen Darstellung der theoretischen und praktischen Ansätze zur Textverständlichkeit, fällt dann aber der eigene Ansatz etwas ernüchternd aus. Hier setzt sich wieder der Praktiker durch, der zentrale Begriffe in einem „Rahmenmodell der Randbedingungen und Dimensionen der Verständlichkeit“ zusammenstellt. Die sechs Randbedingungen, in der Visualisierung sinnigerweise als Wolken dargestellt: kommunikative Ziele, Situation, Modus und Medium, Textsorte, Fachsprache und Terminologie, Sprachkompetenz, Vorwissen und Kognition. Die acht Dimensionen der Verständlichkeit: Komplexität, Kompliziertheit, Kürze, Gliederung, Deutlichkeit, Motivation, Usability, Korrektheit. Gegen derartige vortheoretischen Modelle ist schwer zu argumentieren, denn sie sollen ja nicht korrekt, sondern nur angemessen für bestimmte Zwecke sein. Und für die Aus- und Weiterbildung nichtwissenschaftlicher Adressaten hat das Modell sicher Plausibilität. Theoretisch bleibt es aber unbefriedigend, auch wenn jeder Aspekt der Verständlichkeit jetzt in einer Begriffsschublade untergebracht ist.
Wer sich mit Verständlichkeit theoretisch oder praktisch beschäftigt, kommt um die Lektüre des Buches nicht herum, es stellt die bisher breiteste und sorgfältigste Darstellung des Themas dar, in der die wesentliche Literatur aufgearbeitet ist.
Die Beschäftigung mit Verständlichkeit hat auch privaten Nutzen: Mit seiner Frau versteht sich Benedikt Lutz offenbar gut: Ihr hat er auf Finnisch das Buch gewidmet. (17.01.2016)
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