Plastikwörter

„Words, words, words“ antwortet Hamlet auf die Frage des Polonius: „Was leset ihr, mein Prinz“ (2. Akt, 2. Szene). Wörter haben es mir angetan, deshalb wieder ein Beitrag über Wörter.

1988 hat der Sprachwissenschaftler Uwe Pörksen ein Buch mit dem Titel „Plastikwörter. Die Sprache einer internationalen Diktatur“ veröffentlicht. Er meint damit Wörter aus den Wissenschaften, die weitgehend ihrer Bedeutung beraubt sind und deshalb beliebig verwendbar sind. „Beziehung“, „Projekt“, „Fortschritt“, „Struktur“, „System“, „Beziehung“, „Strategie“, „Faktor“ sind z. B. solche Plastikwörter. Vor allem im politischen, aber auch im kulturellen Bereich sind Plastikwörter beliebt, da man mit ihnen tiefsinnig formulieren kann, ohne etwas Inhaltliches zu sagen. Eine Kostprobe: „Wir sind die Partei, die für eine strukturelle Ökologisierung steht, für eine Energiewende, für eine Verkehrswende, und auch für eine ökologisch ausgerichtete Arbeitsmarktpolitik. Wir haben ein integriertes Konzept von Wirtschaftsökologie und Sozialpolitik entwickelt, und das bieten wir an.“ Aha, jetzt wissen wir Bescheid. Plastikwörter eigenen sich hervorragend für Phrasendreschmaschinen.

Der sozial- und integrationspolitische Sprecher der hessischen SPD-Landtagsfraktion, Gerhard Merz, hat eine lange „Liste hässlicher Wörter“ gesammelt, viele davon sind Plastikwörter. (13.07.2014)

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Stillleben

MacBurger

Das Big Mac extra value meal. Werbung von McDonald.

Versuchen wir eine ikonologische Analyse der visuellen Botschaft: Zentral im Bild ein Doppelburger, links davon ein Pappbecher mit dem Logo von Coca-Cola, rechts davon eine Tüte mit Pommes und dem Logo von McDonald. Die Tüte mit Pommes greift das Motiv des Füllhorns aus der griechischen Mythologie auf, ein Symbol für Überfluss und Glück. Ein Burger ist ja eigentlich nur ein belegtes Brötchen, der üppige, mehrschichtige Belag signalisiert ebenfalls Überfluss: Fleisch, Käse, Salat. Dazu passt der 1/2-Liter-Becher mit Brause, der Schriftzug „always“ signalisiert globalisierte Jugendlichkeit. Geschirr gibt es nicht, nur Papp-Becher, Papp-Tüte und Papierserviette, diese ist aber wie ein edles Tuch drapiert. Die Pappen sind ein Symbol für die Wegwerfgesellschaft. (12.07.2014)

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Totentänze

Auf dem Alten Friedhof in Freiburg/Breisgau kann man in der Vorhalle der St. Michaelskapelle einen Totentanz anschauen. Schon als Schüler habe ich mich dort gern aufgehalten, habe die Gemälde betrachtet und die Verse dazu gelesen. Die Darstellung stammt vermutlich aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von Simon Gröser. Mehrfach wurden die Bilder restauriert, die letzte auch bereits wieder restaurierte Fassung stammt von Wolfram Köberl aus dem Jahre 1963. Aber der barocke Touch ist geblieben: Ungeachtet des Alters und des Standes holt sich der Tod seine Opfer. Was mich an Totentänzen fasziniert, ist die archaisch-naive Präsenz des Wissens um unsere Sterblichkeit im öffentlichen Raum: mors certa, hora incerta. Anders ist das noch heute in der mexikanischen Kultur, wo man um den Día de los muertos Gebeine und Totenschädel überall und in allen Formen sehen kann. Bei uns sieht man Skelette nur noch im Horrorfilm oder ausgiebig bei „Bones“. Sogar den Totenschädel als Warnzeichen findet man nur noch selten und in der aktuellen Gestaltung erinnert er eher an einen Affen als an einen Menschen. (11.07.2014)

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Der Tod erlöst vom Kreuz der Ehe: Motiv aus dem Freiburger Totentanz. Quelle: tumblr.  Daneben das Piktogramm für tödliche Chemikalien: Giftig für Affen? Darunter: In einem Cafe in Oaxaca de Juárez. Foto: Max Steinacher

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Datenschutz

Eigentlich ist zu dem Thema schon alles Wichtige gesagt, aber noch nicht von mir. Was dank Edward Snowden scheibchenweise an die Öffentlichkeit dringt, würde in einem Science-Fiction-Thriller als übertriebene Fantasie gerade noch durchgehen. Prinzipiell können unsere Mails, unsere Fotos, unser Telefongespräche, unser Bewegungsprofile, registriert, ausgewertet und gespeichert werden. Die Kanzlerin und führende Politiker werden abgehört, politische Ausschüsse bespitzelt. Vielleicht kreisen auch schon Drohnen über Deutschland. Die Bundesregierung ist wohl deshalb so einsilbig und inaktiv, weil die deutschen Geheimdienste kräftig mitmischen und die amerikanischen Freunde wohl eher um ihre technischen Möglichkeiten beneiden. Hier hat sich eine metakommunikative Ebene etabliert, die allen unseren Vorstellungen von Privatsphäre und informationeller Selbstbestimmung widerspricht. (10.07.2014)

Nachtrag: Gerade war mein Beitrag hochgeladen, da erfuhr ich aus dem Radio, dass Die Regierung den obersten Geheimdienstler der US-Nachrichtendienste an der amerikanischen Botschaft aufgefordert hat, Deutschland zu verlassen. Donnerwetter, ein demonstrativer Faustschlag auf den Tisch! Aber ändern wird sich danach wahrscheinlich wenig bis nichts. (11.07.2014)

Ueberwachungskameras

Überwachungskameras. Quelle: Dirk Ingo Franke, Wikimedia Commons

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Sponti-Tipps

Foto

Zwei Schablonensprüche in der Wilhelmstraße bei der Universität Tübingen. Hübsch die Blutspur bei den Vegetariern (09.07.2014)

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Schöne und eklige Wörter

Der Deutsche Sprachrat hat 2004 einen Wettbewerb veranstaltet, um die schönsten deutschen Wörter zu küren. Die ersten fünf: „Habseligkeiten“, „Geborgenheit“, „lieben“,„Augenblick“ und „Rhabarbermarmelade“.

Es gibt auch Listen ekliger Wörter, die bekannteste stammt von Wiglaf Droste und Gerhard Henschel. In der Satirezeitschrift titanic haben sie eklige Wörter zusammengestellt. Einige Beispiele: „Drüsennässe“, „Gewebeprobe“, „Grindgabel“, „Standardstützstrumpf“, „Vaginalzäpfchen“.

Aber was macht ein Wort schön oder eklig? „Habseligkeiten“, „Geborgenheit“, „Lieben“,„Augenblick“ sind morphologisch schöne Kompositionen. „Rhabarbermarmelade“ klingt phonetisch schön und bei „lieben“ hat wohl die Bedeutung über die Wortform gesiegt. Dies gilt für die meisten ekligen Wörter. Sie führen zu unangenehmen assoziativen und emotionalen Konnotationen. (08.07.2014)

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Vergangene Passion

Das Netz vergisst nicht! Durch Zufall bin ich auf ein Zitat von mir aus dem Jahr 1983 gestoßen, auf einer Website, die sich mit dem Leben als Single beschäftigt. Damals schrieb ich für „Psychologie heute“ regelmäßig Rezensionen, so auch über das Buch von Niklas Luhmann: „Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität“. Das zusammenfassende Zitat:

„Liebe als Passion ist ein französisches Modell, in dem Liebe als Leidenschaft, als maßloses Begehren außerhalb jeder rationalen Kontrolle verstanden wird (…). Dabei ist wichtig, daß Liebe hier ein Gegenkonzept zur Ehe darstellt, die Passion erleidet man nur in außerehelichen Beziehungen. Den Ehepartner achtet man, aber man liebt ihn nicht. Die Liebe wird als grundsätzlich zeitlich begrenzt angesehen.
(…)
Die romantische Liebe hingegen ist eine deutsche Errungenschaft. Sie fordert die Einheit von Liebe, Sexualität und Ehe (…). Die Idee der persönlichen Selbstverwirklichung durch wechselseitige Bildung verschafft der Liebe Entwicklungsmöglichkeiten und damit Dauer.“
(Steffen-Peter Ballstaedt in Psychologie Heute, April 1983)

Mein Text hat es in die Croatian Scientific Bibliography geschafft, allerdings als Abstract eines Beitrags von Ivan Markešić: Love Phenomenology in Niklas Luhmanns‘ Work „Die Liebe als Passion“. Sehr seltsam. (07.07.2014)

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Warenästhetik

Im Umfeld der kritische Theorie war in den 70er Jahren der Begriff der Warenästhetik in allen konsumkritischen Köpfen: Abgekoppelt vom Gebrauchswert wird der Tauschwert einer Ware erhöht, durch die Inszenierung des Produkts werden Bedürfnisse geweckt. Der Begriff der Warenästhetik verband sich mit dem marxistischen Philosophen Wolfgang Fritz Haug. Sein Buch von 1971 „Kritik der Warenästhetik“ hat er 2009 mit dem Zusatz „Gefolgt von Warenästhetik im High-Tech-Kapitalismus“ fortgeschrieben. Grundlegend hat sich wenig geändert, aber Marketing und Werbung sind jetzt wissenschaftlicher und professioneller.

Vor kurzem habe ich ein Projekt von Pundo3000 im Web entdeckt: Von 100 Lebensmittelprodukten wird Verpackung, Werbefoto und Inhalt gegenübergestellt. Schon jeder hat beim Öffnen z.B. einer Dose Sardinen festgestellt, dass das leckere Produktfoto und das tatsächliche Produkt sich nicht sonderlich ähnlich sehen. Oft wird das Produkt mit einem Serviervorschlag noch kulinarisch garniert und inszeniert. Die Gegenüberstellungen von Pundo machen wenig Appetit, aber ich habe mit Vergnügen alle hundert Produkte angeklickt. (07.07.2014)

 

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Ein Beispiel aus dem Projekt „Werbung gegen Realität“, mit freundlicher Genehmigung von Pundo3000. Guten Appetit! (ins Bild klicken, dann kann man es größer genießen)

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Historischer Humor 1

In einem Vortrag 1988 am Goethe-Institut in in München  habe ich mich damit beschäftigt, wie Witze funktionieren: Wie zündet die Pointe? Mich interessierten die kulturellen Voraussetzungen des Lachens. (Den Vortrag kann man unter Downloads herunterladen). Ausgangspunkt war meine Lektüre einiger Meggendorfer humoristischer Blätter vom Ende des 19. Jahrhunderts, die ich auf einem Flohmarkt erstanden hatte. Die Wort- oder Bildwitze konnte ich verstehen, aber fand sie nicht witzig. Ein ähnliches Erlebnis habe ich jetzt mit einem Witzheftchen aus den 60er-Jahren aus dem PABEL-Verlag: „SEXmal kurz GELACHT. Medizin für trübe Tassen“. Die Witze wirken flach und sind nur vor dem Hintergrund einer eher prüden Mentalität zu verstehen, bei der die Männer durch feminine Reize animiert werden. Die Bildwitze sind oberweitenlastig und die Sprachwitze behandeln bevorzugt das Fremdgehen. Die Adressaten des Witzheftchens sind eindeutig männlich. (03.07.2014)

Sexmal_gelacht

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Titelblatt und zwei Bildwitze aus „SEXmal kurz GELACHT. Medizin für trübe Tassen“ aus den 60er-Jahren.

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Burka-Verbot

Semiotisch betrachtet, sind Kleidung und Mode Mittel der Kommunikation. Wer sich etwas anzieht, ist sich der Tatsache bewusst, dass oder sogar wie es auf andere wirkt. Und umgekehrt schließen wir aus der Bekleidung auch auf Botschaften des Trägers oder der Trägerin. Die Botschaft der Burka oder des Niqab ist klar: Sie bedeutet eine Abschottung von der sozialen Umwelt. Das Gesicht stellt in der Kommunikation das informationsreichste Areal dar, seine Verschleierung ist ein Versuch nicht zu kommunizieren. Und natürlich transportiert die Verschleierung eine Botschaft über die Religionszugehörigkeit und über die Rolle der Frau. Ob die Frau hinter dem Schleier ihn aus persönlicher Überzeugung trägt oder dazu aus religiösen oder patriarchalischen Gründen gezwungen wird, lässt sich nicht feststellen. Auch eine Krawatte kann ein Zeichen für Zwang und Anpassung sein.

Soll man die Burka verbieten? Nein! Die Demonstration der Religionszugehörigkeit ist nicht verboten. Sonst müsste auch der Habit von Ordensgemeinschaften aus dem öffentlichen Raum verschwinden. Und die Wahl der Kleidung ist persönlicher Ausdruck. Man muss die Wahl nicht schön finden, aber man muss sie tolerieren. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sieht richtig, dass die Gesichtsverschleierung eine kommunikative Barriere errichtet, aber ein Verbot hebt diese Barriere nicht auf. (03.07.2014)

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