99 Luftballons

Das ist mein 100. Beitrag im Blog und deshalb ist eine kleine Evaluation des Projekts fällig. Meine Absicht: Ich wollte unsere symbolische Umwelt vor allem in den weniger ausgeleuchteten Ecken dokumentieren.

Ein wenig Statistik. Die Anzahl der Klicks auf der Website hat kontinuierlich zugenommen: Mai 239, Juni 411, Juli 425, August 610, September 658. Bis heute 2.692 Views, im Oktober im Durchschnitt 30 Views pro Tag. Das ist nicht besonders viel. Der meist geklickte Beitrag war Ebola (260) gefolgt von Klodeckel (84)!

Über 700 Kommentare hat meine Antispam-Biene korrekt abgefangen, alle auf Englisch: Eigenwerbung, politische Manifeste, Hilfsgesuche, unseriöse Angebote, Bekenntnisse. Ich kann es kaum glauben, wie viele brache Kommunikationsbedürfnisse sich im Web austoben, oft seitenlang. Thematisch zu meinen Beiträgen waren es 26 Kommentare. Man freut sich wie ein kleines Kind, wenn etwas inhaltlich zur Kenntnis genommen wird.

Kosten und Nutzen des Blogs stehen in keinem günstigen Verhältnis, aber ich werde reduziert weiter machen. (11.10.2014)

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Der Genitiv

Mit dem schönen Titel „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ hat Bastian Sick 2004 zur Rettung des Genitivs aufgerufen: Formulierungen wie „wegen dem schönen Wetter“ oder „laut einem Bericht“ sind nach der Grammatik falsch, weil nach diesen Präpositionen der Genitiv stehen muss, zumindest im schriftlichen Hochdeutsch. Gehört der Genitiv zu den bedrohten Fällen? In einer Arbeit hat der Tübinger Linguist Fabian Renz aufgezeigt, dass der Genitiv wohl aus Rache umgekehrt auch den Dativ verdrängt. Immer öfter liest man „gemäß des Paragraphen“ oder „nahe des Bahnhofs“. Sprachpfleger werden sich vor Grausen schütteln, aber der Genitiv klingt hier doch durchaus gehoben. Die Sprache wandelt sich durch die Sprecher, was die Grammatik betrifft allerdings langsam. Die grammatischen Fehler von heute sind oft die Regeln von morgen. (09.10.2014)

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Biedermeier

Tapete2  Tapete3

Tapete4  Tapete1

 

Biedermeier-Tapeten aus dem Hause meiner Schwiegermutter in Kirchentellinsfurt. Foto: St.-P. Ballstaedt (07.10.2014)

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Marterln

Sie gehören zu den religiösen Kleindenkmälern und sind nur in den Alpenländern verbreitet. Mit ihnen wird an Einzelpersonen erinnert. Oft in Versform, manchmal mit Bild berichten sie über die Unfälle oder Krankheiten, an denen sie gestorben sind. Marterln sind Ausdruck einer unverklärten Einstellung zum Tod. (06.10.2014)

W 023  W 021

 

Zwei schöne Beispiele für Marterln aus Österreich. Foto: Fritz Lehmann (mit herzlichem Dank).

Der Text des ersten Marterl: Hier ruht der Brugger von Leichteithen, er starb an einem Blasenleiden. Er war schon je ein schlechter Brunzer, drum bet für ihn ein Vaterunser.

Der Text des zweiten Marterl: Christ steh still und bet a bissl, hier liegt der Bauer Jakob Nissl. Zu schwer mußte er büßen hier, er starb an selbstgebrautem Bier.

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Rechtschreibung

Seit Jahren versuche ich, Studierenden die deutsche Rechtschreibung beizubringen. Nach dem Hin-und-Her der Rechtschreibreform ist die Ansicht verbreitet, Rechtschreibung sei nicht nur lästig, sondern auch überflüssig, da sich die Regeln ohnehin beliebig ändern. Rechtschreibtests fallen meist verheerend aus, sie werden als reine Schikane angesehen, denn es gibt ja Korrekturprogramme. Aber jetzt lese ich in der kostenlosen Schweizer Pendlerzeitung 20Minuten, dass die Linguistin Christa Dürscheid an der Uni Zürich herausbekommen hat, dass in Partnerbörsen im Internet auch Rechtschreibung und Grammatik entscheiden: „Fehlerhafte Rechtschreibung wirkt genauso abschreckend wie eine ungepflegte Frisur.“ Endlich habe ich ein Argument, dass korrektes Schreiben wichtig ist. Zumindest für eine erfolgreiche Paarung. (04.10.2014)

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Wegweiser

Katastrophenweg

Gern befahren und begangen: der Katastrophenweg (am Kaiserstuhl). Foto: St.-P. Ballstaedt (02.10.2014)

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Sterben

„In einer Minute, einer Sekunde“, dachte er. Das Steigen hielt inne. Und wie ein Stein zwischen Steinen, ging er in der Freude seines Herzens wieder in die Wahrheit der unbeweglichen Welten ein. (Albert Camus: Der glückliche Tod. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1972)

Er sank hinunter, fühle sich aber alles andere als besiegt, ganz und gar nicht dem Untergang geweiht, nur darauf aus, wieder Erfüllung zu erleben, und dennoch wachte er nicht mehr auf. Herzstillstand. Er war nicht mehr, befreit vom Sein, ging er ins Nichts, ohne es auch nur zu merken. Wie er es befürchtet hatte von Anbeginn. (Philipp Roth: Jedermann. München: Carl Hanser, 2006)

Er hörte sein eigenes Herz. Und er lauschte der Stille, als es zu schlagen aufhörte. Geduldig wartete er auf den nächsten Herzschlag. Und als keiner mehr kam, ließ er los und starb. (Robert Seethaler: Ein ganzes Leben. Berlin: Hanser, 2014)

Die Finger lockerten den Griff, und das Buch, das sie gehalten hatten, rutschte langsam und dann immer rascher über den reglosen Leib und fiel in die Stille des Zimmers. (John Williams: Stoner. München: DTV)

Meine liebsten literarischen Beschreibungen des Sterbens, außer bei Seethaler die letzten Sätze des Romans. (01.10.2014)

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Aufkleber

Alpha_Omega

Aufkleber in Tübingen mit einem Motiv von Banksy: Consumer Jesus. Welche – vermutlich kirchliche – Organisation sich hinter Alpha und Omega verbirgt, habe ich nicht herausgefunden. Foto: St.-P. Ballstaedt (30.09.2014)

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Zifferblätter

Wer sich Anfang des 19. Jahrhunderts eine Wanduhr anschaffte, konnte das Zifferblatt getrennt vom Uhrwerk auswählen. Beim Ziffernblatt wurde eine bewährte Auswahl von Motiven angeboten, z. B. Blumen oder Szenen aus dem bäuerlichen Leben. Man konnte aber auch ein Motiv eigener Wahl in Auftrag geben. Das Zifferblatt war damit unabhängig von der Zeitangabe eine Wandzierde wie ein Tafelbild. Die Schwarzwaldstadt Furtwangen, im 19. Jahrhundert ein Zentrum der Uhrenindustrie, zeigt im Deutschen Uhrenmuseum viele Beispiele für die Gestaltung der Zifferblätter, auch für den Export in andere Länder. Nach dem 1. Weltkrieg ging die Uhrenproduktion zu Ende, es blieb die Feinwerktechnik an der Hochschule. Aber Zifferblätter mit alten Motiven kann man noch als Souvenir erwerben (29.09.2014)

Zifferblätter

Auswahl bemalter Zifferblätter in der Hexenlochmühle im Schwarzwald. Foto: St.-P. Ballstaedt

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Pietät

Pietät

Sechs Verhaltensverbote am Eingang einer Moschee in Mostar. Foto: Max Steinacher (25.09.2014)

November 2012 Belgrad 109

Nachtrag: Noch eine Serie von Verhaltensvorschriften an einer Bank in Belgrad. Ärgerlich: Man darf kein Eis essen und keine Waffe mitbringen. Foto: Wolfgang Scherer (mit herzlichem Dank)

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