Ich habe das Jubiläums-Heft von Charlie Hebdo ein Jahr nach dem Anschlag auf die Redaktion gelesen. Die Blattmacher sind nicht eingeknickt: In Bild und Text werden die Religionen nicht geschont, egal ob Christentum, Judentum, Islam, Hinduismus oder Buddhismus. Religionskritische Karikaturen stehen weiter in der Kritik, vor allem mit dem Argument, dass damit religiöse Gefühle verletzt würden. Aber was sind religiöse Gefühle?
Emotionspsychologen unterscheiden Basisgefühle und sekundäre Gefühle. Basisgefühle wie Ekel, Angst, Freude, Mitleid, Trauer haben einen biologischen Ursprung und ihnen entsprechen bestimmte neuronale Muster. Diese Gefühle zeigen sich in einer speziellen Mimik und physiologische Reaktionen wie Tränen, Zittern, Erröten usw. Diese Indikatoren sind interkulturell vorhanden, wenn auch durch Gefühlssozialisation im Ausdruck abgeschwächt oder forciert. Und dann gibt es sekundäre Gefühle, abgeleitete und gemischte Gefühle, z.B. Liebe, Bedauern, Dankbarkeit, Hoffnung, die kognitiv komplexer und stärker gesellschaftlich bedingt sind. Aber gibt es religiöse Gefühle? Bei mir konnte ich noch keine feststellen. Von Schleiermacher stammt der oft zitierte Ausdruck vom „Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit“ als Kern des Religiösen. Aber ist das ein Gefühl oder nicht eher ein kognitiver Schluss?
Kann man religiöse Gefühle verletzen? Man kann sich darüber ärgern, dass andere nicht das glauben, was man selbst für richtig hält und sich sogar darüber lustig machen. Zudem sind Gefühle nicht intersubjektiv, jeder fühlt sie nur für sich. Was man fühlt, kann man sprachlich ausdrücken, aber die Wahrhaftigkeit der Sätze und Gefühle lassen sich nicht überprüfen. Jeder Heiratsschwindel hat Liebesschwüre im Programm. Gisela Vetter-Liebenow, die Direktorin des Wilhelm-Busch-Museums, verteidigt religionskritische Karikaturen: „Wenn im Namen einer Religion Unheil angerichtet wird, dann muss das auch benannt und kritisiert werden dürfen.“ (24.01.2016)
Dahinter steckt immer ein laizistischer Kopf. Foto: Max Steinacher. Zum Thema „religiöse Gefühle“ empfehle ich einen Essay des Linguisten Gerd Simon unter dem wahrlich pfiffigen Pseudonym Gerard Simenon.
Dieser Kommentar von Gerd Simon ist bei mir als E-Mail eingegangen:
Lieber Steffen Ballstedt,
Max Steinacher machte mich dankenswerterweise auf diesen Text aufmerksam.
Es ist ja selten, dass ich aus Kommentaren zu einem meiner Texte
lerne. Aber ich bin ja kein Psychologe, wenn ich auch von Psychologen
wie Klaus Holzkamp und seiner Frau Ute Osterkamp vieles lernte. Bin
daher weiterhin an einem Gedankenaustausch interessiert.
Gruß
Gerd Simon = Gérard Simenon