Author Archive | SP Ballstaedt

Alterslyrik

Ich bin ein großer Liebhaber von Gedichten, weil hier die Sprache sozusagen zur Höchstform aufläuft: Jeder Laut, jedes Wort, jede Konnotation, jede syntaktische Konstruktion trägt zu einem Gesamteindruck bei, der eine Wahrnehmung, ein Gefühl , eine Befindlichkeit, eine Erkenntnis subjektzentriert verdichtet. Dazu kommen sämtliche rhetorischen Stilmittel, welche die Sprache zu bieten hat.

Derzeit blättere ich in der Gedichtsammlung „Altershalber“, die von Helmut Zwanger und Henriette Herwig herausgegeben wurde. Sie haben Gedichte aus acht Jahrhunderten über das Altern gesammelt. Die Altersklage überwiegt, mit der Hinfälligkeit und Sterblichkeit haben sich die Menschen schon immer schwer getan. Die Herausgeber: „Kaum je findet sich Scherzhaftes, Heiteres, selten Humor, Komik oder Selbstironie.“ (S. 31). Aber das liegt auch an der Auswahl. Zwei Dichter Robert Gernhardt und Peter Rühmkorf kommen zwar in der Anthologie vor, aber nicht mit den Gedichten, die nichts beschönigen, aber über die man trotzdem schmunzeln kann. Hier Robert Gernhardt aus „Lichte Gedichte“:

ES, ES, ES UND ES

Es ist nicht schön, wenn man begreift:
Du bist nur gealtert, du bist nicht gereift.

Es tut nicht gut, wenn man bemerkt:
Die Zeit hat nur deine Schwächen verstärkt.

Es führt nicht weit, wenn man erkennt:
Was du auch anfängst, es ist der Anfang vom End.

Es baut etwas auf, wenn man bedenkt:
Mit dem Tod bekamst du das Leben geschenkt.

Viele altersheitere Verse auch in Peter Rühmkorfs letztem Gedichtband „Paradiesvogelschiß“. (26.04.2015)

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Rumgurken

Auf einem Spreewaldgurkenlaster in Berlin habe ich den Spruch gelesen: „Nicht rumgurken, sondern gleich ins Glas“. Woher kommt das Verb „herumgurken“ oder auch nur „gurken“, beide in den Duden aufgenommen? Bei meiner Recherche bin ich gleich auf einen Text des Germanisten Gerhard Müller gestoßen, der die Spuren der Gurke in der Alltagssprache untersucht hat. Herumgurken bezeichnet „das ungezielte, mehr oder weniger schweifende Gehen oder Fahren“. Nach seiner Ansicht wird die Unregelmäßigkeit der Gestalt von (nicht normierten) Gurken auf eine Bewegung übertragen. Nach Heinz Küpper stammt die Übertragung vermutlich aus der Soldaten- bzw. Fliegersprache. (22.04.2015)

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Krumme Gurke, wie sie bis zur Aufhebung der Verordnung Nr. 1677/88/EWG zur Festsetzung von Qualitätsnormen für Gurken am 1.7.2009 nicht wachsen durfte. Quelle: Garitzo, Wikimedia Commons

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Mahnmale

Ob das eindrucksvolle begehbare Holocaust-Mahnmal seinen Sinn der Besinnung erfüllt, bleibt fraglich. Die Kinder spielen Fangen und Verstecken, was bei einer solchen Versuchung sicher verzeihlich ist. Aber auch andere Besucher laufen kichernd und und lachend durch die Gänge, fotografieren sich und lassen sich von den düsteren Stelen die Urlaubsstimmung nicht beeinträchtigen.

Es vermittelt schon ein besonderes Geschichtsgefühl, wenn im unmittelbaren Umkreis des Regierungssitzes vier Mahnmale für Bevölkerungsgruppen stehen, die man ausrotten wollte: Juden, Homosexuelle, Sinti und Roma und behinderte und kranke Menschen (Euthanasie-Opfer). Schön deutsch, die saubere Kategorisierung der Opfergruppen. (18.04.2015)

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Gang durch das Holocaust-Mahnmal. Foto: St.-P. Ballstaedt

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Pfeilwitze 2

Offensichtlich werde ich mit meiner Sammlung von Witzen und Cartoons zum Thema Pfeil nicht ernst genommen, deshalb hier zwei weitere Beispiele. Der erste Witz ist aus der „Bäckerblume“ und beruht auf dem Unterschied der Funktion wirklicher Pfeile und ikonischer Pfeile. Der zweite spielt mit der Zeigefunktion von Pfeilen: Weg vom Gesicht leitet er den Blick, aber wohin…? (15.04.2015)

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Der erste Pfeilwitz ist aus der Bäckerblume, der Zeichner des zweiten ist in meinem Archiv unter die Räder gekommen.

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Pissoir-Erotik

Toilettenerotik

Das Automatenangebot an Erotikartikeln in einem Tübinger Pissoir. Die Produkpräsentation ist bildlich eher schlicht, aber typografisch  abwechslungsreich (durch Anklicken vergrößern!). Foto: St.-P. Ballstaedt (14.04.2015)

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Schreibschrift

Nachdem es um die Rechtschreibreform gerade ruhig geworden ist, droht der Kulturtechnik Schreiben ein neuer Schlag. Im Grundschulverband wird diskutiert, ob man in den Schulen die gebundene Schreibschrift abschaffen und dafür nur eine druckschriftähnliche Grundschrift lehren soll. Dabei werden die einzelnen Buchstaben nicht mehr miteinander verbunden. Ausgerechnet beim PISA-Sieger Finnland ist das bereits ab 2016 beschlossen. Auch in der Schweiz wird darüber diskutiert. Das Argument: Die Handschrift wird immer weniger gebraucht, da fast alles auf einer Tastatur geschrieben wird. Deshalb macht es keinen Sinn mehr, Schülerinnen und Schüler mit einer komplizierten Handschrift zu quälen, sie sollen lieber die Tastaturkompetenz verbessern. Ohnehin haben 30% der Jungen und 15% der Mädchen ernsthafte Schwierigkeiten dem Erlernen der Handschrift.

Der Aufschrei der Kulturbewahrer ist wieder laut: Kinder werden unterfordert, es drohen feinmotorische Störungen und der Verlust individueller und kultureller Identität. Wohlgemerkt: Es geht nicht um die Abschaffung der Handschrift, sondern um ein vereinfachtes Schreiben. Wer viel mit der Hand schreibt, kann die Buchstaben auch miteinander verbinden. Eine persönliche Handschrift kann sich also auch hier entwickeln.

Handschrift ist sicher etwas Individuelles, Generation von Grafologen haben – allerdings weder reliabel, noch valide –  versucht, sie als Ausdruck des Charakters eines Menschen zu analysieren. Aber Handschrift ist auch oft unleserlich. Nach Angaben der National Academy of Sciences sterben in den USA jedes Jahr etwa 7000 Menschen an unleserlich ausgestellten Rezepten.

Die Schreibforschung hat klar ergeben: Schreiben hat wichtige kognitive Funktionen beim Sortieren der Gedanken, aber ob wir dazu eine Stift oder eine Tastatur benutzen, ist wohl nicht ausschlaggebend. Gern wird Nietzsche zitiert: „Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken”. Der Philosoph litt an schwindendem Sehvermögen und Migräneanfällen und kam mit der damals noch schwer gängigen und lauten Schreibmaschine nicht zurecht.

Das Schreiben verbundener Schrift soll angeblich den Gedankenfluss befördern, während das Schreiben einzelner Buchstaben das Denken unterbricht. Aber mit diesem Argument müssten über eine Tastatur Buchstabe für Buchstabe eingegebene Texte gedanklich wenig taugen. Ich selbst schreibe nur noch wenig mit der Hand, immer mit Radierer und Tippex in Reichweite: Besorgungslisten, Gedankensplitter, Sudelbucheinträge. Längere Texte schreibe ich nur auf dem Computer. Die allmähliche Verfertigung der Gedanken geht spontaner und schneller, weil Korrekturen und auch inhaltliche Umstellungen schnell vollzogen sind.

Wie bei der Rechtschreibreform ist festzustellen, dass viele Gründe für oder gegen die Grundschrift empirisch nicht abgesichert sind. Deshalb wird wieder einmal auf dem Niveau von Glaubenskriegen argumentiert. (13.04.2015)

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Die Hamburger Grundschrift, die seit 2011 an einigen Schulen ausprobiert wird: Quelle. Wikimedia Commons

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Kirche macht was

Dass die evangelische Landeskirche neben den göttlichen Ratschlägen auch noch weltlichen Beistand einholt, ist sicher kein Fehler. Die angelaufene Kampagne mit großen Plakaten erfüllt den Zweck, Aufmerksamkeit zu erregen, denn die Motive sind groß, düster und auf den ersten Blick unverständlich. Wer dadurch auf die Website gelockt wird, der findet dort einen Wettbewerb für Ideen, die unsere Gesellschaft besser machen. Natürlich zwei religiöse Themen, aber auch zwei Psychothemen: Was bin ich wert? Sich Zeit für etwas nehmen. Eine kirchenunabhängige Jury wird die eingegangenen Ideen in Form von Texten, Gedichten, Kurzfilmen, Musikstücken, Fotos usw. bewerten. Die Kirche lässt sich die Ideen etwas kosten: Vier PR-Agenturen stehen 3 Millionen Euro zur Verfügung. (10.04.2015)

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Ein Plakatmotiv, das Aufmerksamkeit durch kognitive Dissonanz erregt. Quelle: Evangelische Landeskirche

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Studieren

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Passend am Parkhaus bei der Universitätsbibliothek Tübingen dieses erstaunlich ausgearbeitete Stencil. Sonderbar ist aber die altmodische Schreibmaschine. Foto: St.-P. Ballstaedt (09.04.2015).

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Pfeilwitze 1

Einen Tag lang habe ich mich mit dem universellsten Zeichen der Menschen beschäftigt: dem Pfeil und seinen zahlreichen Funktionen als Schriftzeichen über Wegweiser und Verkehrszeichen bis zu seiner Symbolik in Mythologie und Kunst. Dabei ist mir eine Sammlung von Witzen und Cartoons wieder in den Hände gefallen, die ich vor Jahren für einen Vortrag gesammelt hatte. In Ihnen spielen Pfeile eine Rolle. (08.04.2015)

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Zwei Beispiele für Pfeilwitze. Der erste vom Schweizer Cartoonisten Jules Stauber, der zweite vom rumänisch-amerikanischen Zeichner Saul Steinberg.

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