Bildethik

Zugegeben, das folgende Buch habe ich mit dem Vorurteil zur Hand genommen, dass es jetzt nach der korrekten Sprache auch um korrekte Bilder geht, von denen sich niemand diffamiert oder in seiner Identität beeinträchtigt fühlt.

Christian Schicha: Bildethik. Grundlagen, Anwendungen, Bewertungen. München: UVK Verlag, 2021.

Das Vorurteil war unbegründet. Das Buch referiert unaufgeregt über visuelle Kommunikate, die rechtliche Vorgaben missachten oder ethische Normen verletzten. Wie der Untertitel ankündígt, wird das Thema in drei Abschnitten behandelt:

Grundlagen. Der einleitende Teil zur Bildtheorie bleibt recht oberflächlich, Ansätze zur Bildwissenschaft und zu Visual Culture Studies werden nur gestreift. Weder wird eine brauchbare Bildtypologie eingeführt, noch sind die Abschnitte über Bildwahrnehmung und Bildwirkung auf dem Stand der Forschung. Die normativen Aspekte der visuellen Kommunikation sind in juristische und ethische Verfehlungen aufgeteilt. Das gültige Bildrecht als Teil des Medienrechts wird mit seinen Sanktionsmöglichkeiten vorgestellt. Demgegenüber hat die Bildethik außer Rügen des Deutschen Presserats oder Werberats als Instanzen der Medienselbstkontrolle keine Sanktionsmöglichkeiten, sondern setzt auf Reflexion und Sensibilisierung. Das Verhältnis von Ethik, Moral und Recht bleibt dabei unklar, Ethik und Moral als Grundlagen des Rechts werden offenbar gleichgesetzt.

Anwendungen. Darunter werden konkrete Fälle verstanden, die juristische und ethische Probleme aufwerfen. Alle Bereiche der visuellen Kommunikation sind berücksichtigt: Dokumentar- und Kunstfotografie, Fotojournalismus, Kriegsberichterstattung, Politische Bilder, Werbung, Modefotografie, Satire und Karikatur usw. Man bekommt einen guten Überblick über derzeitige Problemfelder und Fallbeispiele, von den Folterfotos aus Abu-Ghuraib über anorektische Models und sexistische Werbung bis zu den Mohammed-Karikaturen. Das Kapitel 11 fällt dabei aus dem Rahmen, da es sich mit den Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung und den damit verbundenen Verfälschungen befasst, die alle Anwendungsfelder betreffen: Wahl von Perspektive und Ausschnitt, Retuschen, Einfügungen und Tilgung, Farbveränderungen, Montage usw.

Bewertungen. Hier werden die Anwendungsfelder einer bildethischen Evaluation unterzogen, eigentlich sind es Zusammenfassungen der vorangegangenen Kapitel, die wenig Neues bieten. Alle Bewertungen orientieren sich an der Beachtung der Menschwürde, der Maxime der Nichtschädigung und der Berücksichtigung des Persönlichkeitsschutzes. Dabei wird kein gültiger Kriterienkatalog angeboten, da die ethische Beurteilung eines Bildes vom jeweiligen Zeitraum, der jeweiligen Kultur mit ihren Werten und den kommunikativen Absichten im konkreten Einzelfall abhängt. Es werden Argumente zusammengetragen, die bei der Entscheidung helfen, ob ein Bild veröffentlicht werden soll oder man lieber darauf verzichtet. Nur ein Beispiel: Es gibt ein Foto aus dem Jahr 2005, das den abgerissenen Kopf einer jungen palästinensischen Selbstmordattentäterin zeigt, die sechs Menschen in den Tod gesprengt hat. In der Schweiz gab es eine Debatte, nachdem das Bild in einer Monatsbeilage der NZZ veröffentlicht wurde. Der Kommunikationswissenschaftler Peter Glotz verteidigte das Foto: „Wo hinter Bildern ein Sinnhorizont erkennbar wird, eine Anklage, eine These, rechtfertigt das Objektivitätsgebot auch härteste Bilder.“ Der Schweizer Presserat war anderer Meinung. Er sah den Respekt vor der Menschenwürde verletzt, der auch für eine Selbstmordattentäterin gilt. Zudem sollte man die Lesenden nicht mit Schockbildern überfallen, die letztlich nur eine „knallige Illustration“ darstellen (Peter Studer: Presseräte zu Bildern von Krieg und Gewalt. In zhwinfo: Die Macht der Bilder. Winterthur, ZHW, 2006, 13-16)

Es ist also stets eine Einzelfallprüfung erforderlich, die die Entwicklung einer „ethischen Kompetenz“ voraussetzt und keinesfalls zu eindeutigen Urteilen führen muss.

Das Buch endet mit einem Serviceteil, in dem Initiativen, Bücher, Aufsätze, Zeitschriften und Filmbeiträge vorgestellt werden, die sich mit normativen Fragen der visuellen Kommunikation befassen. Das Buch bietet damit einen hervorragenden Einstieg in das komplexe Thema.

Abschließend zwei Anmerkungen zur Buchproduktion: Im Text sind eine Unmenge teilweise sinnentstellender grammatikalischer Fehler stehen geblieben. Ein abschließendes Lektorat hat offenbar nicht stattgefunden oder war sehr oberflächlich. Ein weiteres Ärgernis sind ausgerechnet die Bilder, viele im Briefmarkenformat oder mit einer Auflösung, die weder Schriften noch Details erkennen lassen. (01.11.2021)

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