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Wortwarte

Schon einmal habe ich auf dieses Projekt aufmerksam gemacht, das seit 2009 an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften angesiedelt ist: Die Wortwarte. Sie dokumentiert die Entwicklung des deutschen Wortschatzes, indem sie jeden Tag Wörter aus verschiedenen Onlineangeboten fischt, die zum ersten Mal aufgetaucht sind. Diese Wörter werden mit ein paar Tagen Verzug veröffentlicht und belegt. Die Analyse der Wortlisten ist spannend, denn diese Wörter sind Indikatoren für Themen, die gerade gesellschaftlich in der Diskussion sind. Für Soziologen und Linguisten bilden die Listen seit 16.9.2000 eine Fundgrube. Hier z. B. die neuen Wörter vom 20.8.2015:

Der Amalettomat, das Anti-Cheat-System, das Basisgetränk, der Eigen-PR-Effekt, der Entschleunigungsexperte, die Heldenquest, der Lichtstress, der Micro-Four-Thirds-Chip, die Mieterwechselgebühr, die Partnerinteraktion, das Speedskydiven, die Warpzone.

Wie die neuen Wörter methodisch entdeckt und präsentiert werden, dazu ein ausführlicher Bericht von Wortwart Lothar Lemnitzer. Nicht alle Wörter überleben und werden lexikalisiert, viele bleiben Eintagsfliegen (Fachwort: Okkasionalismen). (26.08.2015)

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Liebeserklärung (?) auf dem Ammersteigweg in den Weinbergen über Hirschau. Foto: St.-P. Ballstaedt (22.08.2015)

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Schutzgebiete

Gestern ist mir ein neues Schild im Wald aufgefallen. Waldschutzgebiet, ein auf der Spitze stehendes grünes Dreieck mit einem Specht. Damit werden jetzt Areale ausgewiesen, für die Pflanzen-, Biotop- oder Habitatschutz gelten, z.B. Bannwälder. Die bekannten Naturschutzgebiete sind Areale zum Schutz von Natur und Landschaft. Der Unterschied der beiden geschützten Areale dürfe eher bürokratisch-verwaltungstechnisch sein, mir erschließt er sich nicht. Die Naturschutzgebiete waren früher mit einem grünen Dreieck mit Seeadler gekennzeichnet. Der kam in die Kritik, weil die abgebildete Art des Weißkopfseeadlers nur in Amerika vorkommt. Deshalb wurde dann die heimische Eule auserwählt, um geschützte Areale zu kennzeichnen. (21.08.2015)

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Immer müssen Vögel ran: Weißkopfadler, Eule und Specht machen auf ihren bedrohten Lebensraum aufmerksam. Foto: St.-P. Ballstaedt, Wikimedia Commons

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Nachtrag: Hier das Schild mit der DDR-Eule, das man noch überall in den neuen Bundesländern finden kann. Foto: St.-P.Ballstaedt (02.09.2015)

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Random Reading

Am 4. 9. 2015 wird in Kassel auf dem Weinberg die Grimmwelt eröffnet, ein Bau, der Leben und Werk der Brüder Grimm vermitteln soll. Dort hat auch die Installation von Ecke Bonk „Buch der Wörter“ eine dauerhafte Heimstatt gefunden. Das begehbare Kunstwerk wurde 2002 auf der Documenta 11 gezeigt. Es besteht aus drei Teilen: In einem Raum sind alle Titelblätter des Grimm´schen Wörterbuchs von der Erstausgabe 1854 bis zu letzten Nachlieferung gerahmt. In einem zweiten Raum werden durch einen Zufallsgenerator gesteuert jeweils die Einträge zu drei Stichwörtern auf drei Wände projiziert. Zwischen den beiden Räumen läuft auf einem Monitor eine Liste aller 350 000 Stichwörter von A bis Zypressenzweig. Dort kann man zufällig auch untergegangene Wörter wie bangeln, schiefeln, zauschen oder „unfeine“ Wörter wie Ficker, Arschwisch, Rülzer lesen. Die Installation ist eine Visualisierung der immensen Arbeit, die hinter diesem Wörterbuch steckt. (18.08.2015)

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Meine Installation der Ausgabe des Wörterbuchs von Jacob und Wilhelm Grimm. Foto. St.-P. Ballstaedt

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Portrait

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Entdeckt an einer bröselnden Betonwand in Tübingen Waldhäuser-Ost. Ohne Kommentar, der Kontext des Graffito ist mir unklar. Foto: St.-P. Ballstaedt (17.08.2015)

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Flatulenzen

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Warnhinweis vor der Damen- und Herrentoilette im Art Café in Waldhäuser-Ost. Foto: St.-P. Ballstaedt (14.08.2015)

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Verstricktheit

„Es gibt aus der Verstricktheit keinen Ausweg. Das einzige, was sich verantworten lässt, ist, den ideologischen Missbrauch der eigenen Existenz sich zu versagen und im übrigen privat so bescheiden, unscheinbar und unprätentiös sich zu benehmen, wie es längst nicht mehr die gute Erziehung, wohl aber die Scham darüber gebietet, dass einem in der Hölle noch die Luft zum Atmen bleibt.“ Theodor Adorno: Minima Moralia, S. 24. (12.08.2015)

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Kritische Theorie in Tübingen: Aufkleber an Laternenmasten in der Haaggasse. Fotos: St.-P. Ballstaedt

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Verzehrsempfehlung

Auf eine Schachtel mit Magnesium-Kapseln steht eine Verzehrsempfehlung. Ist das Fugen-s korrekt? Fugenlaute in zusammengesetzten Wörtern sind für Linguisten ein zweifaches Ärgernis.

1. Man weiß nicht, wo sie genau herkommen. Sind es übriggebliebene Flexionsmorpheme (Fuseme), z.B. des Genitivs (Museumsdirektor, Essensreste) oder des Plurals (Hundeleine, Streckenposten). Aber es gibt es für Hochzeit kein Genitiv-s, aber ein Hochzeitskleid. Und Kindergeld bekommt man auch für ein Einzelkind. Oder haben sie sich Fugenlaute nur eingeschlichen, weil man das Kompositum dann glatter artikulieren kann?

2. Wann ein Fugenlaut notwendig ist, dazu gibt es keine eindeutigen Regeln. Und wenn man welche aufstellt, führt das zu vielen Ausnahmen. Kurios: Das Fugen-s ist im amtlichen Sprachgebrauch üblich – Schadensersatz, Einkommenssteuer -, aber nicht unbedingt in der Umgangssprache, da bekommt man Schadenersatz und macht seine Einkommensteuererklärung. Neben der Verzehrsempfehlung gibt es auch die Verzehrempfehlung und den Verzehrzwang, aber nicht den Verzehrszwang. (11.08.2015)

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Korrekt mit oder ohne Fugenlaut? Infanteriewerk A 7838 in Sufers, Kanton Graubünden. Quelle: Kreteglobi, Wikimedia Commons

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Marie Goslich

Es ist faszinierend, wenn ein Mensch und sein Werk der Vergessenheit entrissen werden wie z. B. bei der Fotografin Vivian Maier. Jetzt hat ein studentisches Projektteam des Instituts für Medienwissenschaft der Uni Tübingen die jüdische Journalistin Marie Goslich wiederentdeckt: 1859 in Frankfurt an der Oder geboren, 1937 in eine Landesheilanstalt eingeliefert und dort verschollen. Etwa 400 Fotos haben in Zeitungspapier auf einer Treppe im Hühnerstall überdauert, sonst sind fast alle Dokumente über ihr Leben verschwunden. 70 Fotos haben die Studierenden ausgewählt und im Schönbuchmuseum in Dettenhausen präsentiert. Dazu gib es einen schön schlicht gestalteten Katalog.

Obwohl das Fotografieren mit schwerer Kamera auf einem Stativ umständlich war, wirken die Menschen spontan und lebendig, wenn sie bei Arbeit, Sport und Freizeitvergnügungen abgelichtet werden. Marie Goslich war auch als Mode- und Sportfotografin tätig, aber besonders interessierten sie Menschen der unteren Schichten: Arbeiter, Bauern, Taglöhner, Saisonarbeiter, Hausierer, Straßenhändler, Vagabunden. „Les gagne-petits [Kleinverdiener] nennt sie der Franzose und kennzeichnet damit halb mitleidig, halb verächtlich die geringe Stellung, die sie in der Welt, in der der Mensch nach dem Geldverdienst abgeschätzt wird, einnehmen“. So schreibt sie 1906 in einer Reportage in „Die Woche: moderne illustrierte Zeitschrift“. (10.08.2015)

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Auf der Straße: Ein fahrender Händler mit Haus- und Küchengeräten aus Blech und Eisen. Quelle: Maria Goslich im Schönbuchmuseum

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