Vogel und Wurm

Das Sprichwort „Der frühe Vogel fängt den Wurm“ ist wahrscheinlich die Übersetzung einer englischen Redensart: „The early bird catches the worm”, die bereits 1670 in einem Buch vorkam (genau nachrechechieren konnte ich das heute nicht). Eine schöne Interpretation des Sprichworts auf Youtube.

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Jürgen und Irina mit philosophischen Reflexionen an einer Tübingen Hauswand (vergrößern durch Anklicken). Foto: St.-P. Ballstaedt (28.06.2016)

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Steuerflucht

In einer Sprachglosse im SPIEGEL spießt die Journalistin und Schriftstellerin das Wort „Steuerflucht“ auf. Es „vermittelt so erfolgreich die Assoziation einer existenzbedrohenden Gefahr, dass der Steuerflüchtling inzwischen der einzige geworden ist, der schrankenlosen europäischen Schutz genießt.“ Zielländer sind Steueroasen oder Steuerparadiese, aus denen es richtig gemein wäre, jemanden zu vertreiben, der dann auch unter der Last der Steuern zu leiden hätte. Das nennt man Euphemismen, Wörter, die Sachverhalte verschleiern und beschönigen. Steuerhinterziehung klingt illegal, Steuervermeidung fast schon wieder sympathisch. (26.06.2016)

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Brexit

Man mag den Briten nachtrauern oder nicht, aber endlich bekommt die EU einen „Weckruf“, wie Herr Martin Schulz festgestellt hat. Was ja wohl bedeutet: Vorher hat sie geschlafen. Immer in Sorge um die Märkte, die globalen Konzerne und die Finanzströme hat man sich um soziale Ungleichheiten, Jugendarbeitslosigkeit, Steuervermeidung usw. wenig gekümmert. Und spätestens in der Flüchtlingspolitik hat sich der Wertegemeinschaft blamiert, denn jeder kocht sein nationales Süppchen. (24.06.2016)

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In der Europakarte als politische Karikatur (etwa 1870, zum Vergrößern anklicken) sind England und Schottland isoliert, gemeinsam halten sie Irland an der Kette und schauen giftig auf den Kontinent. – Darunter eine aktuelle Karikatur. Quellen: Wikimedia Commons und www.anticapitalistes.net

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Einhörner

Mit dem dreisprachigen Jugendkanal Tilllate.com schmeißt sich die Schweizer Gratis-Pendler-Zeitung „20 Minuten“ sprachlich und thematisch an „die jungen und urbanen Leser“ ran: Urlaub, soziale Netzwerke, Festivals, Partys, Sex, Livestyle, Selfies und Werbekampagnen. Ein paar hübsche Beispieltitel: Auch Blinde wollen Pornos schauen; Für 100 Likes gibt es ein Tittenfoto; Anleitung zum One-Night-Stand; Die gängigsten Partylügen der Welt; 300 Mädchen und kein einziger BH; Das macht man nur im Suff; Nackte haben in deiner Präsentation nichts verloren. Ja, so ist die Jugend! (21.06.2016)

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Kecke Werbung für das Handyspiel „Robot Unicorn Attack“ in der Printausgabe von „20 Minuten“. Scan: St.-P. Ballstaedt

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Handtaschenraub

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Das Warnschild ist aus Tallinn, der Hauptstadt von Estland, aber wäre auch in Deutschland an vielen Stellen angebracht, denn der Handtaschenraub hat sich zu einer verbreiteten Kriminalitätsform entwickelt. Foto: Max Steinacher (19.06.2016)

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Zügeln

Keine Reise in die Schweiz ohne einen Helvetismus als Mitbringsel. In der Gemeinde Hinterkappeln ist ein Neubau geplant, aber auf dem Baugelände lebt die seltene Gemeine Schließmundschnecke. Jetzt müssen die geschützten Tiere zügeln, d.h. umziehen, sie werden eingesammelt und umgesiedelt. Das Verb „zügeln“ habe ich in einem Artikel in der Gratiszeitung „20 Minuten“ gefunden, in dem Zitat des zuständigen Architekten Daniel Messerli: „Bei Bauvorhaben gibt es immer wieder Unvorhergesehenes – dass man aber Schnecken zügeln muss, habe ich noch nie erlebt.“ In Deutschland werden die Triebe oder die Inflation gezügelt, hier im Sinn von gebändigt, aber die Schweizer Bedeutung „umziehen“ ist sogar im Duden vermerkt. Da die Schnecken ihr Haus mitnehmen dürfen, ist der Umzug wohl tierschutzmäßig vertretbar. (16.06.2016)

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Eine Auswahl von Schließmundschnecken (Clausiliidae) aus L. Forcart (1947): Schnecken und Muscheln. Hallwag-Verlag (S.49). Die Tafel hat E. Hunzinger gestaltet. Scan: St.-P. Ballstaedt

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Wortcollagen

Die Schriftstellerin Herta Müller gehört zu den Wortsüchtigen, die schon in ihren Texten Wörter nach dem Sinn abklopft, den sie in den Köpfen auslösen. Seit Jahren schneidet sie Wörter aus Zeitungen und Zeitschriften aus, sammelt sie in einem Wörterschränkchen und klebt sie auf einem Wörtertisch zu Kollagen zusammen. Sie schreibt sozusagen mit gefundenen Wörtern. Dabei hat sie ein feines Gespür für die sinnliche Seite eines Wortes, seine ästhetische Qualität, für sie gibt es schöne Wörter (z.B. Karussell), aber ihre Aufmerksamkeit gilt vor allem den Wörtern, die durch den Gebrauch unerträglich, schwer oder ungeliebt geworden sind, dazu zählt sie z.B. „mächtig“ oder „Grenze“. Ein Wort ist ja nur ein Laut- oder Grafikgebilde, das seine kommunikative Bedeutung erst durch den Gebrauch erhält. Die Gedichtbilder sehen aus wie Erpresserbriefe und ihr Sinn erschließt sich nicht beim einfachen Lesen, sie regen eher zum Assoziieren an, zum Aufspüren von Bedeutungen. (15.06.2016)

Wortcollage

Da ich kein lizenzfreies Bild auftreiben konnte, hier ein Foto von ein paar zufällig ausgedruckten Collagen auf meinem Stehpult. Foto: St.-P. Ballstaedt

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Kehricht

In Deutschland selten, in der Schweiz gebräuchlich: der Kehricht für das Zusammengefegte und die Kehrichtverbrennungsanlage (KVA). Im Deutschen hat das Wort in einer Wendung überlebt: Das geht dich einen feuchten Kehricht an. Linguistisch gesprochen ist „feucht“ der signifikante linke Kookkurrent. Im 16. Jahrhundert noch „Kehrich“, das T am Ende des Wortes entspricht nicht der üblichen Morphologie und wird später „unorganisch angefügt“ (siehe auch Habicht). (14.06.2016)

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Kehricht auf einer Schweizer Mülltonne im dem Bahnhof Schaffhausen. In der Schweiz gibt es noch einen Helvetismus für Abfall und Müll: der Güsel. Foto: St.-P. Ballstaedt

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Mittelwege

„In Gefahr und großer Not bringt der Mittelweg den Tod“, so lautet ein Sinnspruch des barocken Dichters Friedrich von Logau. In bedrohlichen Situationen soll man keinen Kompromiss eingehen, sondern sich eindeutig entscheiden. Der goldene Mittelweg geht auf die aurea mediocritas in den Oden des Horaz zurück, aber mediocritas bedeutet eben auch die Mittelmäßigkeit. „Doch in der Mitten liegt holdes Bescheiden“, so der biedermeierliche Rat Eduard Mörike’s. Dass dieser verhängnisvoll sein kann, zeigt das Lied vom gehorsamen Mägdlein von Frank Wedekind. Die schwammige Aufklärung der Mutter für ihr sechzehnjähriges Töchterlein: “Verlier dich von dem Lebenspfad nie seitwärts ins Geheg. Geh immer artig kerzengrad’ den goldenen Mittelweg.” Man spürt die Ironie und das tugendhafte Kind verliert bei der ersten Begegnung mit einem Mann ihre Unschuld: Pulvermüllers Heinrich sieht den goldenen Mittelweg zwischen ihren Schenkeln. (10.06.2016)

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