Krtek

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So heißt der kleine Maulwurf, den der tschechische Zeichner Zdenek Miler (1921- 2011) als Zeichentrickfilmfigur geschaffen hat. Auf dem Aufkleber taucht er als subversive Figur wieder auf. Foto: Steffen-Peter Ballstaedt (04.02.2016)

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Beileid und Mitleid

In einer Kondolenzkarte drückt man sein Beileid aus, warum nicht sein Mitleid? Was ist der Unterschied? Das Mittleiden, später auch das Mitleid ist ein gemeinschaftliches Leiden (Übersetzung des lateinischen compassio bzw. des griechischen sympathein). Wer mitleidet, der empfindet emotional mit, er hat Mitgefühl, er klagt, trauert, weint mit. Das Wort „Beileid“ ist Anfang des 17. Jahrhunderts aufgekommen, damals im Sinne von Mitempfindung, also in ähnlicher Bedeutung wie Mitleid: „es kunte niemand nicht ein beileid mit ihm haben“ (Fleming). Beileid ist eine analoge Bildung wie Beiheft, Beiboot, Beilage, Beikoch, Beifang und Beikost: Es wird etwas zusätzlich dazugegeben. Beileid ist schwächer als Mitleid, eher kognitiv als emotional. Mitleid drückt sich in Gefühlen aus, Beileid in Worten. Beileid wird ausgesprochen, deshalb auch Beileidsbekundungen und Beileidsbezeugungen. Sprachlich interessant: Man kann mitleiden, aber nicht beileiden! Das Verb gibt es nicht! (01.02.2016)

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Stadtmarketing

Für das Stadtmarketing ist natürlich misslich, wenn man erst wegen einer unsensibel gebauten Brücke aus der Liste des Weltkulturerbes gestrichen wird und dann vor den historischen Kulissen fremdenfeindliche Plakate und Fahnen geschwenkt werden. Dresden macht sich Sorgen, dass die Fotos, die um die Welt gehen, unerfreuliche Assoziationen hervorrufen und Touristen abschrecken. Tatsächlich haben die Bilder eine ikonografische Qualität, die sie für alle visuellen Medien interessant macht. Tipp: Die Demos auf die Elbwiese vor die Waldschlösschenbrücke verlegen. (30.01.2016)

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Titel des Time Magazine mit weltweiter Wirkung: Quelle: Bildschirmfoto time.com

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Öffentliche Filmkritik

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Mit einer Banderole überklebtes Plakat: „Sexistische Kackscheiße“ am Kino „Blauer Turm“ in Tübingen (durch Anklicken vergrößern). Bei einem Kompositum aus zwei Synonymen (rhetorisch einem Hendiadyoin) muss die Empörung groß sei. Foto: St.-P. Ballstaedt (28.01.2016)

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Red Stuff

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Die fleißigsten Kleber sind die Antifaschisten, die meisten politischen Botschaften gehen auf sie zurück. Zahlreiche Motive kann man in Online-Shops kaufen. Foto: St.-P. Ballstaedt (25.01.2016)

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Religionskritische Karikaturen

Ich habe das Jubiläums-Heft von Charlie Hebdo ein Jahr nach dem Anschlag auf die Redaktion gelesen. Die Blattmacher sind nicht eingeknickt: In Bild und Text werden die Religionen nicht geschont, egal ob Christentum, Judentum, Islam, Hinduismus oder Buddhismus. Religionskritische Karikaturen stehen weiter in der Kritik, vor allem mit dem Argument, dass damit religiöse Gefühle verletzt würden. Aber was sind religiöse Gefühle?

Emotionspsychologen unterscheiden Basisgefühle und sekundäre Gefühle. Basisgefühle wie Ekel, Angst, Freude, Mitleid, Trauer haben einen biologischen Ursprung und ihnen entsprechen bestimmte neuronale Muster. Diese Gefühle zeigen sich in einer speziellen Mimik und physiologische Reaktionen wie Tränen, Zittern, Erröten usw. Diese Indikatoren sind interkulturell vorhanden, wenn auch durch Gefühlssozialisation im Ausdruck abgeschwächt oder forciert. Und dann gibt es sekundäre Gefühle, abgeleitete und gemischte Gefühle, z.B. Liebe, Bedauern, Dankbarkeit, Hoffnung, die kognitiv komplexer und stärker gesellschaftlich bedingt sind. Aber gibt es religiöse Gefühle? Bei mir konnte ich noch keine feststellen. Von Schleiermacher stammt der oft zitierte Ausdruck vom „Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit“ als Kern des Religiösen. Aber ist das ein Gefühl oder nicht eher ein kognitiver Schluss?

Kann man religiöse Gefühle verletzen? Man kann sich darüber ärgern, dass andere nicht das glauben, was man selbst für richtig hält und sich sogar darüber lustig machen. Zudem sind Gefühle nicht intersubjektiv, jeder fühlt sie nur für sich. Was man fühlt, kann man sprachlich ausdrücken, aber die Wahrhaftigkeit der Sätze und Gefühle lassen sich nicht überprüfen. Jeder Heiratsschwindel hat Liebesschwüre im Programm. Gisela Vetter-Liebenow, die Direktorin des Wilhelm-Busch-Museums, verteidigt religionskritische Karikaturen: „Wenn im Namen einer Religion Unheil angerichtet wird, dann muss das auch benannt und kritisiert werden dürfen.“ (24.01.2016)

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Dahinter steckt immer ein laizistischer Kopf. Foto: Max Steinacher. Zum Thema „religiöse Gefühle“ empfehle ich einen Essay des Linguisten Gerd Simon unter dem wahrlich pfiffigen Pseudonym Gerard Simenon.

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Prima vista

Dass ein erster Blick auf einen Menschen ausreicht, um eine Einschätzung zu gewinnen, die die weitere Kommunikation beeinflusst, wissen wir aus zahlreichen Untersuchungen. Der Medienforscher Siegfried Frey fasst die Befunde seiner Rezeptionsexperimente so zusammen (1999, S. 113) „Offenbar entscheidet sich beim Anblick einer Person buchstäblich in Sekundenschnelle, was wir von der Person halten, welche Eigenschaften wir ihr zuschreiben oder absprechen, ob wir sie sympathisch finden, als langweilig erachten, als arrogant, unehrlich, intelligent, fair u. a. m. einstufen.“

Der erste Eindruck, der angeblich keine zweite Chance bekommt, beruht auf verschiedenen Informationen, die wir bzw. unser Gehirn blitzschnell einem Gesicht entnehmen. Eine davon ist offenbar die Reinheit der Haut, wie jetzt Elena Tsankova und Arvid Kappas (2015) mit einem Experiment herausbekommen haben. Sie entfernten aus fotografierten Gesichtern alle Pickel, Rötungen, Fettflecken und boten einer Gruppe von Versuchspersonen das originale, einer anderen das manipulierte Foto. Ergebnis: Personen mit reiner Haut wurden gesünder, attraktiver, vertrauenswürdiger und kompetenter eingeschätzt. (22.01.2016)

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Frohe Botschaft für die Kosmetik-Industrie und Photoshop, die das Impression Management durch Teintkorrekturen unterstützen: reine Haut wirkt einfach besser. Foto: Jacobs University Bremen

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Bender

Bender Rodríguez ist eine Figur aus der US-Science-Fiction-Zeichentrickserie Futurama von Matt Groening (The Simpsons) und David X. Cohen. Bender ist ein humanoider Roboter mit sehr menschlichen Eigenschaften: Er ist egoistisch, narzisstisch, faul und unmoralisch. Er raucht, säuft, hurt und klopft obszöne Sprüche (die für den amerikanischen Markt oft herausgeschnitten werden): „Bite my shiny metal ass“. (21.01.2016)

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Bei Sprühern sehr beliebt: die Internet-Breitband-Schaltschränke, die auf ganz Tübingen verteilt sind. Foto: St.-P. Ballstaedt; Bender: Wikipedia Commons

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Hashtags

Ein Hashtag ist eine Markierung eines Wortes in Beiträgen (Posts, Tweets) innerhalb eines sozialen Netzwerks. Dazu setzt der/die Schreibende vor ein Wort oder eine Zeichenkette (aber ohne Zwischenräume) das Raute-Zeichen # (hash). Damit ist das Wort als Schlagwort (tag) ausgezeichnet. In der Print-Welt entspricht das einer Verschlagwortung eines Textes. Ein einmal eingeführter Hashtag sollte einheitlich benutzt werden, z.B. #Aufschrei für sexuelle Übergriffe. 2007 wurden Hashtags bei Twitter eingeführt, aber inzwischen sind sie auch in anderen sozialen Netzwerken gebräuchlich (Facebook, Google+, Instagram u.v.m.).

Hashtags bilden eine benutzerdefinierte Verlinkung, mit denen Beiträge zu einem Thema gefunden werden können. Wozu sind Hashtags nützlich? In Twitter kann man z.B. über einen Hashtag alle Beiträge zu einem Thema finden. Für die inhaltsanalytische Forschung ist dies nützlich, so kann bei Twitter über „Trending Topics“ abgerufen werden, welche Hashtags und damit welche Themen gerade beliebt sind bzw. was die Menschen gerade umtreibt. Oder auf Instagram kann man über #selfies alle Selbstbildnisse abrufen.

Wer sich in keinem sozialen Netzwerk herumtreibt, für den gibt es eine Suchmaschinen für Hashtags: tagboard. Dort gibt man den Hashtag ein und bekommt Beiträge aus ausgewählten Social Media angezeigt. (19.01.2016)

Hashtag

Hashtags tauchen auch zunehmend in Aufklebern und Grafittis auf. Hier handelt es sich um einen Hashtag, mit dem ein Songwriter auf sich aufmerksam macht. Foto: St.-P. Ballstaedt

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Gutmenschen

Jetzt also „Gutmensch“ als Unwort des Jahres 2015. Ohne den Zusammenhang mit dem Flüchtlingsthema hätte es das Wort wohl nicht geschafft, bereits 2011 stand es auf dem zweiten Platz. Zur Wahl wollte ich ein paar kluge Sätze schreiben, aber bin bei meinen Recherchen in einer Fülle von sprachgeschichtlichen und sprachkritischen Informationen untergegangen. Allein der umfangreiche Wikipedia-Artikel ist zwar wirr gegliedert, aber informativ. Mit in der Jury saß der Kabarettist Georg Schramm, der die langen Diskussionen äußerst interessant fand: „mit Linguisten diskutiert man ja nicht unbedingt freiwillig“ (FR, 13.1.2016).  Das Wort „Gutmensch“ ist ein schönes Beispiel, wie sich hinter einem Wort die Begriffe ändern können, hier in Richtung auf eine zunehmend negative Konnotationen.

Sein erster Auftritt wird dem Wort 1859 beim dem Pädagogen Christian Oeser zugeschrieben: “Wird nicht ein solch unberatener Gutmensch für seine unbedingte Menschenliebe verlacht, für einen Thoren von der ganzen Welt gehalten werden und ein Opfer seiner Schwäche sein?” Das Zitat findet man allerdings in der 1. Ausgabe der „Briefe an eine Jungfrau über die Hauptgegenstände der Ästhetik“ nicht, erst in einer von August Wilhelm Grube bearbeiteten Auflage 1890: „Chr. Oesers Ästhetische Briefe: ein Weihegeschenk für deutsche Frauen und Jungfrauen“. Es stammt also nicht von Oeser, sondern wahrscheinlich von Grube (vielleicht eine Übersetzung des französischen Worts “bonhomme”?). Hier wird das Wort nicht bösartig verwendet, sondern eher ironisch für einen einfältigen Philanthropen. In diesem Sinn wird es auch noch in den 1980er-Jahren für Personen verwendet, die altruistische und humane Werte hochhalten.

1998 erscheint das „Wörterbuch des Gutmenschen. Betroffenheitsjargon und Gesinnungskitsch“ des Satirikers Klaus Bittermann. Es richtet sich gegen den Jargon eines linken Betroffenheitsmilieus: „Äußerlich identifizierbar waren Gutmenschen damals durch Latzhosen und Tragetücher für Babys, die im Hörsaal gestillt wurden“ (Dusini/Edlinger, S.277). Heute findet man sie in Alnatura-Läden beim Kauf von Biogemüse und naturtrübem Apfelsaft. In der Sprache bemühen sie sich um political Correctness, es darf kein böses und diffamierendes Wort über Menschen benutzt werden. Hier hat das Wort Gutmensch durchaus kritische und abschätzige, aber noch keine gehässigen Konnotationen.

Die kommen erst in die politische Rhetorik, als das Wort „Gutmensch“ von rechtspopulistischer Gesinnung vereinnahmt wird. Jetzt werden damit Personen bezeichnet, die Toleranz, Solidarität und Hilfsbereitschaft gegenüber Fremden und Flüchtlingen zeigen. Diesen Gutmenschen wird Naivität bis zur Dummheit und Weltfremdheit bis zum Realitätsverlust zugesprochen. „[…] Gutmensch hat sich heute zu einem Hasswort entwickelt, das von Rechten eilfertig als verbales Geschütz gegen jeden in Stellung gebracht wird, der ihre Paranoia und ihre Hetze infrage stellt“, so der Journalist Matthias Heine (2016). Vom guten Menschen zum Gutmenschen: So kann ein Wort herunterkommen! (18.01.2016)

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„Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache“ (Wittgenstein, 1953, 43). Foto: St.-P. Ballstaedt

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