Bevor am 10.1.2023 das Unwort des Jahres verkündet wird, wurde am 1.1. 2023 die Floskel des Jahres gekürt. Das Unwort wird aufgrund von Vorschlägen aus der Bevölkerung von einer Jury von Experten ausgewählt. Die Floskelwolke ist das sprachkritisches Projekt zweier Journalisten, die ein großes Korpus an Texten aus verschiedenen Medien auswerten.
Was die beiden Projekte hinsichtlich ihrer Ergebnisse unterscheidet, ist mir nicht ganz klar. Das Unwort des Jahres will auf öffentliche Formen des Sprachgebrauchs aufmerksam machen, die gegen sachliche Angemessenheit (Klimahysterie, Lügenpresse, alternative Fakten) oder Humanität (Humankapital, Sozialtourismus, Herdprämie) verstoßen.
Eine Floskel ist in der Rhetorik ein überflüssiger sprachlicher Ausdruck. Beispiele sind: Mal ganz ehrlich, im Endeffekt, gesetzt den Fall, von der Sache her, meines Erachtens, mehr oder minder. Was die Floskelwolke aufzeigen will, sind Wörter, deren Bedeutung sich verflüchtigt oder verkehrt: Einzelfälle (2020), Eigenverantwortung (2021), die Floskel des Jahres 2022 ist Freiheit. Das ist ein philosophisch, politisch, juristisch zentrales Wort, hinter dem sich aber verschiedene Bedeutungen verbergen können. Die Begründung: „Der Freiheitsbegriff wird entwürdigt von Egoman*innen, die rücksichtslos demokratische Gesellschaftsstrukturen unterwandern. Im Namen der Freiheit verkehren sie selbstgerecht und unsolidarisch die essenziellen Werte des Sozialstaates ins Gegenteil – alles zum eigenen Vorteil.“ Negativ beurteilt wird nicht das Wort, sondern seine Verwendung in bestimmten Kontexten (Wittgenstein: „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.“). „Freiheit“ ist keine überflüssige Floskel, sondern wird hier egoistisch interpretiert.
Die Methoden beider sprachkritischer Projekte sind verschieden, aber die Ergebnisse sind durchaus vergleichbar. Auch die weiteren Wortkandidaten der Floskelwolke 2022 wie Klimakleber, technologieoffen, Doppel-Wumms könnten als Unworte vorgeschlagen werden. Bleiben wir gespannt, welches Unwort aus über 1.100 Vorschlägen am 10.1. präsentiert wird. (03.01.2023)
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