Author Archive | SP Ballstaedt

Zentangle

Dass man mit Zeichnen und Malen entspannen und abschalten kann, ist keine neue Erkenntnis. Dem Ausmalen von Mandalas wird sogar eine spirituelle Dimension zugesprochen. Jetzt kommt ein neuer Trend, wie immer aus den USA: Zentangle (Kontamination aus Zen und engl. tangle= verwirren). Es geht um das Zeichnen von Mustern, um Kritzeleien und Stricheleien. Gewöhnlich aus Langeweile oder zu Entspannung produziert, wird das Zeichnen hier zur selbsttherapeutischen Methode erhoben. Die Botschaften: Jeder Mensch ist kreativ und ein Künstler. Zeichnen ist eine Form der Meditation („voll im Hier und Jetzt“). Die Produktion von Kritzeleien fördert Selbstvertrauen und Selbstfindung („Zeichnen Sie sich glücklich“).

Fast in jeder Vorlesung oder jedem Seminar sitzt eine Person, die ein Blatt Papier liebevoll mit Mustern ausfüllt. Und wie viele Bierdeckel sind schon mit Kugelschreiber vollgekritzelt worden. Aber nimmt man einer spontanen Entspannung nicht die Unschuld, wenn man Regeln aufstellt, wenn man Vorlagen und Anleitungen anbietet und wenn dazu Kurse abgehalten werden? Ein Zentangle Kit mit Basismaterialien (Papiere, Bleistifte, Anspitzer) kostet 49,00 Euro! (17.09. 2015)

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Hier eine Kritzelei aus meiner Produktion. Preis aus Anfrage. Foto: St.-P. Ballstaedt

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Kirscheln

Das Jugendwort des Jahres 2015 ist eine hübsche Metapher: Zwei Personen kirscheln, wenn sie wie Kirschen zusammenhängen (vergleichbar: turteln). Gehört oder gelesen habe ich das Wort noch nie, allerdings verkehre ich auch selten in Jugendkreisen. Es ist auch nicht gesichert, dass nur Jugendliche mit der vorgegebenen Liste abstimmen. „Kirscheln“ hat es nur durch eine Manipulation geschafft, denn eigentlich war der Ausdruck „Alpha Kevin“ auf Platz 1, er steht für den Dümmsten in einer Gruppe, und war den Initiatoren zu inkorrekt und diskriminierend. Aber dann kann der Verlag Langenscheidt den Wettbewerb abblasen, denn der Reiz von Subsprachen liegt ja oft darin, dass sie nicht politisch korrekt sind: Spasti, Restefick (für eine Ü-30 Party), Frischfleisch (für Erstsemester-Studentinnen), Abtörngirl und viele mehr. (14.09.2015)

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Zuckertütchen

Tütchen, Sticks und Tetraeder mit Portionszucker sind Werbeträger und begehrte Sammlerobjekte. Viele sind mit hübschen Bildchen verziert, es gibt ganze Serien. (12.09.2015)

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Aus meiner Zuckertütchen-Sammlung, die ich Gästen in einem Körbchen anbiete, um Weltläufigkeit zu demonstrieren. Foto: St.-P. Ballstaedt

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Replikationen

Wissenschaftliche Untersuchungen müssen so durchgeführt und dokumentiert werden, dass man sie jederzeit wiederholen kann. Aber Replikationsstudien sind rar, denn sie bringen den Wissenschaftlern wenig Renommee, sie versuchen lieber neuen Ideen Karriere zu machen, statt alte Rezepte nach zu kochen.

In einem Großprojekt haben Forscher jetzt 100 Studien aus hochkarätigen psychologischen Fachzeitschriften reproduziert. Das Ergebnis: Nur 36% der Befunde konnten bestätigt werden, vor allem überraschende Befunde waren nicht zuverlässig (reliabel).

Was sagt das über den Wissenschaftsbetrieb aus? Zunächst kann man Betrug in diesem Ausmaß ausschließen, obwohl immer wieder gefälschte Studien auftauchen. Jede Studie ist auch von Zufällen abhängig, von der Art der Durchführung (Versuchsleitereffekte) oder von der Zusammensetzung und Größe der Stichprobe. Manche psychologischen Variablen sind auch intraindividuell nicht stabil. Und dann herrscht Druck auf den Forschern, sich mit Publikationen einen Namen zu machen und das geht vor allem mit unerwarteten spektakulären Ergebnissen. Unterhalb der Schwelle zum Betrug gibt es Möglichkeiten der Bereinigung von Daten, der Anpassung von Hypothesen, der Interpretation von Ergebnissen. Jeder, der schon einmal im Wissenschaftsbetrieb mitgemischt hat, kennt diese Tricks. Wer monatelang Daten erhebt und viele Fördermittel einsetzt, der möchte danach nicht mit leeren Händen da stehen.

Deshalb sollte man sich davor hüten, die Psychologie an den Pranger zu stellen. Ein weiteres Projekt überprüft jetzt 50 Studien zur Krebsbiologie, auf die Befunde darf man gespannt sein. Man erinnert sich an die 94 Publikationen mit gefälschten Daten von Friedhelm Herrmann und seinem produktiven Team. (11.09.2015)

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Poliz/ei

/ei/ ist ein Wortbildungsmorphem , das z.B. den Bäcker zur Bäcker/ei oder den Betrüger zur Betrüger/ei macht. Das Wort „Polizei „wurde im 15. Jh. aus dem Lateinischen politia bzw. policia entlehnt, im Sinne von Ordnung und Verwaltung (mittelhochdeutsch bei Luther policei.). /poliz/ ist ein gebundener Wortstamm, der frei nicht vorkommt (ein Konfix).(10.09.2015)

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Eine Anschrift an der Mauer vor der Polizeistation im Pfleghof Tübingen. Ob der Autor/die Autorin dieses Spruches linguistisch vorgebildet ist, kann man vermutlich verneinen. Foto: St.-P. Ballstaedt

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Sitzfleisch

Dieser Ausdruck für das Gesäß als Fleisch zum Sitzen ist mein Lieblingswort des Monats September 2015. Es steht bereits im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm und war ein bei Literaten verbreitetes Wort. Zum Beispiel bei Jean Paul in seinem Roman „Flegeljahre“, der 1804/05 bei Cotta in Tübingen erschien: „Mich hätte man jura lassen sollen. Gott! Ich hatte Gaben und mein Pferdgedächtnis und Sitzfleisch“. Vor ein paar Tagen hörte ich im Außenbereich eines Restaurants die Bedienung sagen: „Wegen der Kühle heute haben die Gäste kein Sitzfleisch“. Wer kein Sitzfleisch hat, der kann nicht ruhig sitzen und hat deshalb keine Ausdauer beim Studieren. (08.09.2015)

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Sitzfleisch. Foto: Peter Klashorst, Wikimedia Commons

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Suizidieren

In einem Bericht des SWR beklagt der ärztliche Direktor, dass in den letzten Jahren an der Bahnstrecke nahe des Zentrums für Psychiatrie Reichenau viele „Patienten sich suizidieren“, konkret: vor einen Zug werfen. Jetzt hindert sie ein kilometerlanger hoher Zaun vor derartigen Impulsen. Das Verb „suizidieren“ hat sich offenbar in der psychiatrischen Fachsprache etabliert, in einem Lexikon konnte ich es nicht finden. Als reflexives Verb „sich suizidieren“ ist es eigentlich unsinnig. „Sich das Leben nehmen“ klingt humaner und beinhaltet nicht die professionelle Distanz, die mit dem Verb „suizidieren“ zum Ausdruck kommt. (06.09.2015)

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Darßer Türen

Gerade in der Volkskultur werden oft Gegenstände des täglichen Gebrauchs ästhetisch dekoriert oder verziert. Auf dem Darß in Mecklenburg-Vorpommern hat sich seit dem späten 18. Jahrhundert eine Tradition entwickelt, die Haustüren mit geschnitzten Motiven, zuerst einfarbig (rotbraun, grün, grau), später in bunten Farben auszustatten. Die repräsentativen Türen als Eye Catcher waren Zeichen für den Wohlstand der Bewohner. Die schlichten Motive waren Sonne, Blumen, Bäume, Ranken. Pfeile, Sterne usw. (05.09.2015)

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Ob die schlichten Motive nicht nur dekorative, sondern auch eine symbolische Bedeutung haben, ist unklar. Foto: St.-P. Ballstaedt

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Stehpinkelverbot

In einer Ferienwohnung in Prerow ist über dem Toilettensitz ein Stehpinkelverbot auf die Kacheln geklebt. Es zeichnet sich grafisch durch Kenntnisse der männlichen Anatomie aus: Brünzel und Sack sind sichtbar! (04.09.2015)

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Mutiger als die Schilder zu allgemeinen Pinkelverboten, die ich bisher kommentiert habe. Allen gemeinsam: Der geneigte Kopf mit den Augen auf das Produkt gerichtet. Foto: St.-P. Ballstaedt

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Vegetarier

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Ob aus diesen Kleinen einmal Vegetarier oder Veganer werden? Werbung auf einem Anhänger in Prerow. Foto: St.-P. Ballstaedt (02.09.2015)

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