Author Archive | SP Ballstaedt

Bildtabu

Was Bilder doch bewirken können! Auch ohne Angst vor einer drohenden Islamisierung, irritiert mich doch, wie die Political Correctness voranschreitet. Nach Zeitungsberichten hat Aldi-Süd die Flüssigseife „Ombia – 1001 Nacht“ aus dem Sortiment genommen, weil Muslime sich wegen einer Abbildung auf dem Etikett in ihren religiösen Gefühlen verletzt fühlten. Zu sehen war die Silhouette einer Kuppel und von Minaretten. Das Bild einer Moschee auf einem derartigen Produkt in der Nähe von Badezimmern oder gar Toiletten sei eine Verunglimpfung der Religion. Waren die Mohammed-Karikaturen eine bewusste Provokation, so sind diese Werbebildchen harmlos, die Betrachtenden sollen nach Aldi „orientalischen Duft“ assoziieren. Gegen persönliche Verletzungen kann man kaum argumentieren, aber rechtfertigen sie die Einführung eines Bildtabus? Da müssten noch viele Bilder aus dem öffentlichen Raum verschwinden. (27.01.2015)

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Eine Verunglimpfung des Islam? Eine Moschee auf dem Etikett einer Flüssigseife. Quelle: Aldi.

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Palindrome

Eines der nutzlosesten Spiele mit Sprache ist das Finden und Konstruieren von Buchstabenketten, die von vorn nach hinten und von hinten nach vorn dasselbe ergeben. Angeblich hat sich Arthur Schopenhauer damit beschäftigt, seriös belegt ist das aber nicht. Die beiden längsten deutschen Wortpalindrome:

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Schon die Wortpalindrome sind oft semantisch kuriose Konstruktionen, aber die meisten Satzpalindrome sind unsinnig oder unfreiwillig tiefsinnig.

Die Liebe ist Sieger; stets rege ist sie bei Leid.

Geist ziert Leben, Mut hegt Siege, Beileid trägt belegbare Reue, Neid dient nie, nun eint Neid die Neuerer, abgelebt gärt die Liebe, Geist geht, umnebelt reizt Sieg.

Vom ehemaligen Kabarettisten und Redakteurs des DDR-Satireblatts Eulenspiegel gibt es ein hübsches Buch über Palindrome, das seit 1984 mehrfach aufgelegt wurde.

Hansgeorg Stengel: Annasusanna. Ein Pendelbuch für Rechts- Linksleser. München/Leipzig. List Verlag.

Es gibt auch Zahlenpalindrome (2442) oder Musikpalindrome. In Joseph Haydns Symphonie Nr. 47 sind Menuett und Trio vorwärts und rückwärts zu spielen. (25.01.2015)

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Erster und zweiter Teil des Menuetts aus Haydns Symphonie Nr. 47. Quelle: Quatrostein, Wikimedia Commons.

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Schönbuch

Eine noch so unbedeutende Veränderung einer Institution ist ohne neues Logo nicht mehr denkbar. Am 20.01.15 präsentierte der Naturpark Schönbuch ein neues Logo und Corporate Design. Das Logo zeigt die blaue Silhouette eines Hirschs auf dessen Flanke der gotische Turm der Klosterkirche in Bebenhausen abgebildet ist. Also zwei charakteristische Motive. Der stilisierte Turm der Klosterkirche war auch schon im alten Logo zu sehen, allerdings inmitten von bewaldeten Hügeln. Jetzt steht der Hirsch für den Wald. Interessant wären die anderen Entwürfe des Agenturwettbewerbs, aus denen ausgewählt wurde. Das neue Logo stammt von der Tübinger Werbeagentur „Die Kavallerie“. (22.01.2015)

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Das alte und das neue Logo des Naturpark Tübingen.

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Pilgerwege

Man kann keinen Kilometer in einem Wald um Tübingen spazieren gehen, ohne auf einen der großen Pilgerwege zu treffen. Der Jakobsweg Richtung Santiago de Compostela und der Martinusweg, der Hauptweg führt von Tannheim nach Schwaigern und ist etwa 535 Kilometer lang. Aber beide Pilgerstrecken haben zahlreiche Nebenwege, die einen zielorientierten Pilger schon verwirren können. Aber bekanntlich führen alle Wege nach Rom. (21.01.2015)

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Die stilisierte Muschel als Kennzeichen des Heiligen Jakob, das gelbe Kreuz als Logo für den Martinusweg. Fotos: St.-P. Ballstaedt

Nachtrag: Im Luther-Jahres wird der ganze Osten neu beschildert. Foto: Wolfgang Scherer (31.08.2015)

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Netizen

Diese sprachliche Kontamination aus network und citizen habe ich erstmals in einem Schweizer Prospekt der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ gelesen. Das Wort geht auf einen Aufsatz von Michael Hauben (bereits 1997) zurück, der damit alle weltweit im Web aktiven Personen bezeichnet, die sich für ihre Gesellschaft verantwortlich fühlen. Deutsch etwa „Netzbürger“. Der Ausdruck hat sich besonders im asiatischen Raum durchgesetzt (China, Südkorea), wo Blogger journalistisch tätig sind, recherchieren, berichten, analysieren und dafür oft vom Staat verfolgt werden. (20.01.2015)

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Lügenpresse

Da ist Pegida ja noch einmal davongekommen, wenn auch das historisch recycelte Unwort des Jahres 2014 indirekt auf die Bewegung verweist, die derzeit gegen Presse- und Meinungsfreiheit stänkert, wenn sie nicht hören oder lesen, was ihnen ins Gehirn passt. Die Pressemitteilung der „Sprachkritischen Aktion“ schließt mit dem Satz: „Eine solche pauschale Verurteilung verhindert fundierte Medienkritik und leistet somit einen Beitrag zur Gefährdung der für die Demokratie so wichtigen Pressefreiheit, deren akute Bedrohung durch Extremismus gerade in diesen Tagen unübersehbar geworden ist.“ Natürlich gibt es auch schlechten und einseitigen Journalismus, aber er wird wiederum durch andere Medien und unabhängige Netizens kontrolliert. (19.01.2015)

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Kategorisiert

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Wissenschaftliche Beschilderungen im Botanischen Garten der Universität Tübingen (zum Vergrößeren hineinklicken). Foto: St.-P. Ballstaedt (17.01.2015)

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Poussieren

Flirten kommt erkennbar aus dem Englischen von „to flirt“ = ursprünglich „schnell bewegen, flattern, kokettieren“. Ein Flirt ist „ein unverbindliches, spielerisches und kurzfristiges Zuneigungsverhältnis“ (Pfeifer, 1995, S. 356). Wer nicht flirten möchte kann poussieren. Noch steht dieses Verb als „veraltend für flirten“ im Duden, aber es gehört zu den aussterbenden Wörtern. Das Wort kommt in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts nach Deutschland von französisch „pousser“ = „stoßen, schieben, drängen“ und bedeutet zunächst in der Kaufmannssprache „um etwas sehr bemüht sein“. Danach Anfang des 19. Jahrhunderts taucht es in der Studentensprache in erotischer Bedeutung auf. Eine Textstelle über Diana, Princess of Wales, im SPIEGEL 27.1.2007: „Sie aalte sich auf dem Sonnendeck einer Luxusyacht, poussierte mit Dodi gut sichtbar an Bord“. Ebenfalls ein Gallizismus ist das Verb „kokettieren“, in dem das Wort „coq“ = „Hahn“ steckt, obwohl man dieses Verhalten vor allem Frauen zuschreibt (Kokette, Kokotte). Wer es lieber deutsch mag, der kann schäkern. Das Wort bedeutet urspr. „scherzen, Späße treiben“, wird dann auch als „kosen, flirten“ verwendet. Der Ursprung ist ungeklärt. Und schließlich kann man noch tändeln. In diesem Wort steckt „Tand“ = „wertloses Zeug, Nichtigkeit“. Tändeln bedeutet also ursprünglich „seine Zeit mit Nichtigkeiten verbringen“. Dann doch lieber poussieren. (13.01.2015)
 

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Karikaturen

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Nach einer Schrecksekunde gemischte Gefühle von Trauer und Wut über den Mord an den Blattmachern von Charlie Hebdo, und von Hochachtung vor Ihnen. Meine Französischkenntnisse habe ich über die Jahre vor allem mit Comics und Cartoons aufrechterhalten, dazu gehörten Reiser und auch Wolinski (Je ne pens qu’à ça). Der rabiate und von jeder political correctness befreite Stil der Cartoons, egal ob über Sex, Politik oder Religion, ist eine Erfrischung für jeden regen Geist. Karikaturen können böse und verletzend sein, aber eine offene Gesellschaft braucht diesen Humor als Stachel und als Ventil. Heute bewundere ich die Franzosen, die jetzt zu Tausenden auf die Straße gehen, ein wenig Voltaire scheint doch noch in ihnen zu stecken. (10.01.2015).

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