Bildersturm

Die Generaldirektorin der documenta ist nach dem Antisemitismus-Eklat von ihrem Amt zurückgetreten, sehr geschickt hat sie sich auch nicht verhalten. Aber wenn wegen ein paar antisemitischen Comicfiguren auf einem 20 Jahre alten Wimmelbild aus Indonesien die Zukunft der ganzen Kunstschau infrage gestellt wird, ist das schon reichlich überzogen. Wo bleibt hier der interkulturelle Dialog, um den es doch  auf der documenta gehen sollte? In einem Artikel der FR hat die EthnologinVanessa von Gliszczynski, die Kustodin im Depot des Weltkulturen Museums in Frankfurt, zu verstehen versucht, warum die Vertreter verschiedener westlicher Geheimdienste als Figuren gezeichnet wurden, die im deutschen Kontext so viel Aufregung erzeugen konnte. Es ging in dem Bild um den Versuch, die Schreckensherrschaft des Diktators Suharto aufzuarbeiten. In den indonesischen Schattenspielfiguren findet man Wurzeln dieser Darstellungen, in denen z. B. das Schwein Gier, der Hund Gewalt und die Ratte Korruption symbolisieren. Das Künstlerkollektiv Taring Padi hat sich mehrfach entschuldigt, es hat die Brisanz dieser Bilder für die deutsche Szene nicht erkannt. Daraus sollte man lernen, statt jetzt einen Bildersturm auszulösen und alle Kunstwerke zu inspizieren, ob sich dort Antisemitismus heraus- oder hineininterpretieren lässt (oder Sexismus oder Kolonialismus oder Rassismus). Etwa 10 bis 15% der deutschen Bevölkerung haben antisemitische Einstellungen, so Daten aus soziologischen Erhebungen. Da müssen wir wachsam bleiben, statt uns in der Sphäre intellektueller kunstästhetischer Auseinandersetzungen abzureagieren. (17.07.2022)

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