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Klodeckel

Kein weißer oder schwarzer Plastikdeckel, der Trend geht zur zum Motivdeckel aus Polyesterharz oder Holz. Es werden vor allem Motive angeboten, die assoziativ weit von den damit verbundenen Verrichtungen entfernt sind und vor allem Sauberkeit und Frische kommunizieren: Meer, Wasserfälle, Wasserblasen, Tautropfen, Blüten. Auf einem Toilettendeckel-Portal lesen wir:„Transparente Sitze mit Sand und Muscheln, Seesternen, Fischen und Meer versetzen den Besucher in Urlaubsstimmung. Haie, Stacheldrahtmotive und Tarnmuster wirken auf den Gast eher bedrohlich und sollen womöglich verhindern, dass man sich hier niederlässt, wenn es nicht wirklich absolut nötig ist.“ Das Portal ermutigt, den Klodeckel zum Ausdruck der Persönlichkeit zu nutzen: „Die junge Singledame bevorzugt vielleicht einen Toilettendeckel mit dem Astralkörper eines jungen Mannes. Der wiederum hat sicher eher das Bild einer schönen jungen Dame zuhause auf seinem Toilettensitz.“ Sehr originell! Für Menschen mit multipler Persönlichkeit: Es gibt auch schnell wechselbare Toilettendeckel-Aufkleber. (30.07.2014)

Klodeckel

Klosettdeckel mit bunten Motiven bereichern unsere visuelle Umwelt. Quelle: http://www.woltu.com/pb/Raute61_0.jpg

 

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Schlager

Ein Schlager ist – in der Musikkritik seit 1881 – eine beim Publikum ein- oder durchschlagende Musiknummer. Heute habe ich über die Forschungen des Musikwissenschaftlers Volkmar Kramarz in der Frankfurter Rundschau gelesen: Er hat an der Universität Bonn Musikstücke analysiert, die es auf hohe Ränge in den Hitlisten gebracht haben. Drei Pop-Formeln hat er gefunden: Turnaround, Modern-Pop, Four Cord. Das Schema „Turnaround“ hat die Akkordfolge: C-Dur/a-Moll/F-Dur/G-Dur. Nach diesem Muster ist z. B. der Song „Sag mir, wo die Blumen sind“ gestrickt. Dann hat Kramarz neun Songs komponiert, die mehr oder weniger von den gefundenen Schemata abweichen. Diese hat er einer Stichprobe (n=40) von Hörern beiderlei Geschlechts und aller Altersklassen vorgespielt und dabei die Hirntätigkeit mittels Magnetresonanztomografie aufgezeichnet. Die Ergebnisse. Bei den Songs nach den gängigen Pop-Formeln wurden Bereiche im Gehirn stimuliert, die für das Wohlgefühl zuständig sind, z. B. auch beim Sex oder beim Spontankauf. Je weiter der Song vom Schema abweicht, desto weniger Wohlgefühl kommt auf. Das gilt unabhängig von Alter, Bildung oder Herkunft. Ja sogar, wenn man das Lied nicht einmal gut findet, kann es zum lästigen Ohrwurm werden. Dies erklärt nicht nur den Erfolg von Songs, sondern ist auch ein schöner Beleg für die Schematheorie der Kognitionspsychologen. (29.07.2014)

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Andrea Berg

Am Samstag habe eine halbe Stunde in das „Sommer Open Air“ der Sängerin geschaut. Es ist kaum zu glauben, wie sie Fangruppen junger Männer und junger Frauen, aber vor allem Pärchen jeden Alters mit ihrer Musik einfängt. Die Melodien sind schlagertypisch, nach einmal hören, kann man mitsingen. In den Songtexten dominieren bestimmte Wortfelder: Zuerst die Ferne und das Abenteuer: Meer, Wind, Schiff, Seemann, Pirat, Inseln. Dann exotische Orte wie Afrika, Atlantis, Kilimandscharo und natürlich die Palette des Erotischen wie Sehnsucht, Liebe, Nacht, Zärtlichkeit, Herz, Glück, Lust usw. Sie selbst verpasst sich mit den roten langen Haaren, den körperbetonten Kleidern und dem breitbeinigen Stand ein Image des Verruchten, allerdings in einer Form, die auch die Oma noch akzeptieren kann. Man braucht nicht Tiefenpsychologie zu studieren, um zu ahnen, welche Bedürfnisse hier ein Ventil finden. (28.07.2014)

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Andrea Berg in einem Konzert in Leipzig am 24.3.2012. Foto: Jean Neef, Wikimedia Commons

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Schweinerei

Auf vielen Logos von Metzgern bzw. Fleischern werben Tiere für ihren eigenen Verzehr, vor allem Schweine, aber auch Hühner, Pferde, Kühe. Sie sind betont lustig und fidel, da kommt kein Gedanke an Massentierhaltung und Schlachthof auf. Kamikaze-Schweine, die begeistert für den Menschen in den Tod gehen.

Wer sich für das Schwein in der Semiotik interessiert, der sollte den schönen Aufsatz von Dagmar Schmauks (2006) lesen: Ringelschwanz und rosa Rüssel. Stilisierungen des Schweins in Werbung und Cartoon. IMAGE 3. Sie behandelt die ambivalente Bewertung des Tiers vom Glücksschwein bis zur Drecksau. (27.07.2014)

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Aus Metzger-Logos: Lebenslustige Schweine werben für den Fleischkonsum! Auch ein Pferd freut sich auf den Schlachter.

Grillwurst

Kein armes Würstchen, sondern eine personifizierte Wurst bietet sich – sichtlich high – zum Verzehr an. Schild an einem Imbissbude in Heringsdorf. Foto: St.-P. Ballstaedt

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Edelsprache

Noch ein Beitrag zur Sprachgeschichte. Beim Ausmisten meiner Dateien bin ich jetzt auf eine kleine Studie von mir gestoßen: „Unterrichts- und Wissenschaftssprache der 20er Jahre. Formulierung und rhetorische Stilmittel“ (unter Downloads abgelegt). 2007 habe ich am Haus der Technik in Essen ein Projekt „Living History“ betreut: Zum 80. Jubiläum sollte ein Vortrag im Stil des Gründungsjahres gehalten werden. Prof. Peter Schierz (Wirtschaftswissenschaften) hat die Rede zum Thema „Chemiker, Ingenieur und Kaufmann – Hand in Hand“ inhaltlich konzipiert, ich habe ihn sprachhistorisch beraten und die Rede überarbeitet und Prof. Clemens Schwender (Medienpsychologie) hat sie in historischer Kleidung gehalten. Dazu habe ich Stilratgeber , Fachliteratur und Reden der 20er Jahre ausgewertet. Das Wort „Edelsprache“ war damals ein Synonym für Hochsprache. (26.07.2014)

Schwender

Prof. Clemens Schwender hält am 15.06.2007 im Haus der Technik in Essen einen Vortrag im Stil der 20er Jahre. Foto: Projektdokumentation

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Eierannahme

Wismar

Zur Veab-Erfassung und Eierannahmestelle. Inschrift aus DDR-Zeiten, gefunden auf einem alten Gebäude im Hafen von Wismar. Mir fehlt die Fantasie, um mir eine Bedeutung auszudenken. Foto: St.-P. Ballstaedt (25.07.2014)

Nachtrag: Nach einem Kommentar weiß ich jetzt: VEAB = Volkseigener Erfassungs- und Aufkaufbetrieb (28.08.2014)

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Vögel

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Mehrdeutiger Aufkleber der Grünen Jugend auf einem Papierkorb am alten Botanischen Garten. Foto: St.-P. Ballstaedt.

Das Wortspiel ist beliebt: Zum Beispiel in dem Slogan, mit dem der Film „Die Stewardessen“ 1971 beworben wurde: SIE ERHEBEN SICH IN DIE LÜFTE VÖGELN GLEICH.  Ein Schweizer Beitrag zum Erotikfilm, mit deutscher Mithilfe von Ingrid Steeger (ab 16). Linguistisch besonders raffiniert, da lexikalisch und syntaktisch mehrdeutig. Sogar der SPIEGEL hat den Sprachscherz in einer Headline aufgegriffen: „Stewardessen. Vögeln gleich“ aufgegriffen. (24.07.2014)

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Nachträge: Hier noch ein Buchtitel, den ich meiner Kollegin Dagmar Schmauks verdanke. (29.07.2014).  Ein Buchtitel, den ich noch entdeckt habe (28.08.2014) und ein Filmcover (09.06.2016).

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Noch ein Fund: Ein Großplakat des Landesbunds für Vogelschutz in Nürnberg. Quelle: http://nuernberg.lbv.de/mitvoegeln.html

Noch ein Fund: Der Nabu Mössingen lädt zu einer Vogelstimmenführung mit der Überschrift ein: „Mit Vögeln in den Sonntag starten.“ (02.06.2018)

Und noch ein Fund: Am 13.11.2018 läuft in SAT.1 eine Spielfilmkomödie mit dem Titel: „Gut zu Vögeln.“ In TV-Spielfilm der Flop des Tages.

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Beiguss

Was bedeutet das Wort „Beiguss“? Es ist der Versuch, ein deutsches Wort für das Lehnwort „Sauce“ zu finden. Es hat sich nicht durchgesetzt. Dabei tauchen jeden Tag neue Worte auf. Auf der Website des Projekts „Wortwarte“ kann man nachschauen, welche Wörter an einem Tag erstmals im Web vorkommen. Am 18.7. 2014 waren das: alkoholresistent, Aufheizprogramm, Crowdturfing, Dummy-Dating, Erkennungsriff, hengstig, Kampfparker, Lotrecht-Parker, Stromlinienauto, Whisper-Nachricht, Zusatzcheck. Was fällt auf: Es sind neue Komposita (Aufheizprogramm) oder Wortableitungen (hengstig), aber keine Wortstämme. So hat sich das Wort „sitt“ für „keinen Durst mehr haben“ nicht durchgesetzt, obwohl es von der Dudenredaktion abgesegnet wurde. Aber Wortstämme haben keine Chance (Ausnahme: Nogger dir einen).

Neue Wortbildungen lassen sich nicht verordnen, sie müssen die Kommunikation verbessern. Das tun sie, wenn sie wirklich etwas Neues benennen oder wenigstens eine neue assoziative bzw. konnotative Bedeutung beisteuern. Schauen wir uns einige Neubildungen des Sprachpflegers Joachim Heinrich Campe (1746 – 1818) an: Die Übersetzung „Erdgeschoss“ für Parterre ist für deutsche Ohren anschaulicher, ebenso „Streitgespräch“ für Debatte, diese Wörter haben sich durchgesetzt. „Dörrleiche“ für Mumie und „Menschenschlachter“ für Soldat sind auf der Strecke geblieben, hier sind die Konnotationen wohl zu drastisch. Das „Stelldichein“ für ein Rendezvous war lange Zeit gebräuchlich, aber steht heute auf der Liste der aussterbenden Wörter. (23.07.2014)

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Vivian Maier

Gestern war ich in dem Film „Finding Vivian Maier“. Er zeigt die detektivische Arbeit ihres Entdeckers John Maloof, der viel Bild- und Tonmaterial über die bisher unbekannte Fotografin gesammelt hat, aber Vivian Maier damit nur geheimnisvoller macht.

Sie verdiente ihr Geld als Nanny und nahm ihre Kinder mit auf die Straßen Chicagos, in die Slums und in die Schlachthöfe, vor allem um unablässig zu fotografieren. Einige 100.000 Negative hat sie in zahlreichen Kisten und Koffern hinterlassen. Warum fotografiert ein Mensch sein Leben lang und zeigt keines seiner Bilder, ja entwickelt sie teilweise gar nicht? Hatte sie kein Geld für die Entwicklung oder war ihr der Moment des Fotografierens wichtiger als das Ergebnis? War das Fotografieren ihre Art der Kommunikation mit den Mitmenschen, denn ansonsten lebte sie sehr zurückgezogen, ja menschenscheu. Sie selbst hat sich einmal als Spionin bezeichnet, Späherin in einem fremden Land. Bei den vielen Fotos von Menschen blickt sie nüchtern, aber nie entlarvend durch das Objektiv auf die condition humaine. In den vielen Selbstportraits wirkt sie ernst und etwas abwesend, mit hartem Blick, oft unvorteilhaft gekleidet in hochgeschlossenen Kleidern und Mänteln, oft mit breitkrempigem Hut. In etlichen Bildern sieht man ihren Schatten. Ihren Namen hat sie ungern angegeben, oft in verschiedenen Schreibweisen, manchmal hat sie sich einfach Smith genannt. Warum verleugnet ein Mensch sich und sein Werk? Ihr Geheimnis bleibt. (22.07.2014)

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Understanding Vivian Maier? Mein Schreibtisch beim Schreiben dieses Beitrags. Foto: St.-P. Ballstaedt

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Schnösel

Eines meiner Lieblingswörter: der Schnösel. Steht im Deutschen Wörterbuch der Grimms und im Duden, aber die Herkunft ist nicht ganz klar. Nach Heinz Küpper`s Wörterbuch der Umgangssprache leitet sich das Wort aus dem norddeutschen „Snodder“ für den Nasenschleim ab. Ein Schnösel ist ein überheblicher, eingebildeter, arroganter Kerl, der sich nicht die Nase putzt, eben eine Rotznase. Der Schnösel ist offenbar eine rein männliche Lebensform. Im treffenden Ausdruck „das Geschnösel“ lassen sich aber auch weibliche Personen subsummieren. (21.07.2014)

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