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Schnügel

Ich bin wieder mit einem Helvetismus aus Zürich zurückgekommen. In der Pendlerzeitung „Blick am Abend“  gibt es die Rubrick „Der Schnügel des Tages“, für die Leserinnen und Leser Fotos Ihrer Haustiere einsenden können. Ein Schnügel – auch Schnüggel – ist ein schweizer Kosename. Lassen wir einen native Speaker zu Wort kommen. „Ein Schnügel ist herzig, süss, zum knuddeln, zum verlieben, spricht also die Gefühle an. Bei Menschen (wird für beide Geschlechter gebraucht, aber vor allem für Knaben und junge Männer) ist ein Schnügel im Gesicht eher weich als kantig. Bei Tieren bedeutet es wohl vor allem kuschelig.“ (Solanna auf www.blogwiese.ch).

Vermutlich ist das Wort von Schnuckel abgeleitet und das wiederum vom Verb „schnuckeln“ in der Bedeutung „lecken“, „saugen“, „naschen“. Daraus sind zahlreiche Kosewörter entstanden wie Schnuckel, Schnucki, Schnuckerchen, Schnuckeli, Schnuckerle, Schnuckchen oder Komposita wie Schnuckelbär, Schnuckelpuppe, Schnuckiputz. Gebräuchlich ist das Adjektiv „schnuckelig“. (27.02.2016)

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Beliebte Schnügel sind Katzen. Um der Welle von Katzenfotos und -videos etwas entgegen zu setzen, hier mal ein anderes Schnügel. Quelle: Blick.ch

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Dadaisierung

In Zürich wurde 1916 von einer Emigrantengruppe die künstlerische Bewegung des Dadaismus gegründet. Woher die Bezeichnung kommt, darüber kursieren nur Gerüchte: Kleinkindersprache? Name eines Haarwaschmittels? Koitus-Positionen „à dada“? Das passt zu einer Kunstrichtung, in der dem Zufall eine große Rolle zugesprochen wird.

Zum 100. Geburtstag wird derzeit ein gescheitertes Buchprojekt „Dadaglobe“ des Dadaisten Tristan Tzara im Züricher Kunsthaus ausgestellt (was die Dadaisten sicher missbilligen würden). Tzara hatte 1920 vierzig Künstler aus aller Welt angeschrieben und gebeten, mit Bild und Text zu einer globalen Schau der Vielfalt des Dadaismus beizutragen. „Dadaglobe Reconstructed“ versammelt alle künstlerischen Dokumente, die noch aufzutreiben waren und hat auch eine Version des geplanten Buches erstellt.

Was mich beeindruckt, ist der spielerische und intelligente Umgang mit Zeichen, Texten wie Bildern, in Collagen und Montagen. Material aus Zeitungen, Reklamen, Fotos und alltägliche semiotische Abfälle wie Fahrkarten oder Kassenbons werden neu angeordnet und – um die Sinnsuche völlig zu verwirren – oft mit aberwitzigen Legenden versehen (z.B. Max Ernst). Mit naiven Kritzeleien und in sinnfreie Lautgebilde zerlegter Sprache wird die bildnerische und literarische Kunst lustvoll provoziert. Es war eine Spaßtruppe, die antrat, um das ganze Leben zu dadaisieren. (25.02.2016)

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Theo van Doesburg: Kleine Dada-Soirée, 1922. Ein Plakat soll informieren, aber das hier weigert sich. Quelle: Wikimedia Commons.

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Nachtrag: Der Dadaismus lebt, z. B. in Leipzip-Plagwitz. Foto: Wolfgang Scherer (27.02.2016)

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Königsmaske

In einer Fußgängerunterführung zum Landestheater Tübingen (LTT) hängt eine Plastik von Axel Manthey an der Betonwand. Er hat sie in seiner Zeit ab 1970 als Bühnenbildner am LTT geschaffen. (23.02.2016)

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Die trostlose Location und die geistlosen Graffiti verstärken den Gesichtsausdruck. Foto: St.-P. Ballstaedt

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Umberto Eco

Umberto Eco ist am 19.02.2016 in Mailand gestorben. Seine „Einführung in die Semiotik“ habe ich am 28.5.1975 gekauft und anschließend auch gelesen, damals für mich Hard-core-Wissenschaft, aber fasziniert haben mich die Verbindungen zur Rhetorik, Ästhetik, Ideologie, Architektur und vor allem der Versuch, Bildern und Filmen semiotisch beizukommen. Dieser vielseitige Autor hat mich dann weiter beschäftigt, fast jedes seiner Bücher habe ich gekauft (aber leider noch nicht alle gelesen). Eco hat für mich ein wenig italienische Lebensart in die Wissenschaft gebracht, nicht disziplinär verkrampft, sondern spielerisch hat er seine Themen behandelt, er kannte keine Grenzen zwischen Wissenschaft, Philosophie, Literatur, Politik. Seine Belesenheit war phänomenal, allerdings war sie manchmal für das Erzählen in seinen Romanen eher hinderlich. Sein semiotischer Blick auf kulturelle Erscheinungen jeder Art ist für mich vorbildlich. (22.02.2016)

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Remmidemmi

Der Aufkleber ist an vielen Masten und Pfosten zu finden, ich hatte gleich den Verdacht, er sei kommerziell. Der Spruch ist Titel eines Songs einer Kölner Boygroup mit dem vielsagenden Namen Remmi Demmi Boys. Sie bespaßen Partys und ballermann-affine Events. Das Wort Remmidemmi ist vermutlich eine onomatopoetische (lautnachahmende) Bildung, die von „ramma damma“ (bayrisch = rammen tun wir) abgeleitet ist. Rammerdammer ist eine umgangssprachliche Bezeichnung für Steinsetzer oder Pflasterer. So Heinz Küpper: Illustriertes Lexikon der deutschen Umgangssprache, Bd. 6, 1984, S. 2306. (19.02.2016)

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Das offizielle Video zum Song: https://www.youtube.com/watch?v=A4FYZQ_Q7Bw

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Bekömmlich

Streit um Worte ist immer interessant, weil er die Gebrauchsweisen und damit die Semantik eines Ausdrucks deutlich macht. Konkret geht es um ein Bier der regionalen Brauerei Härle aus Leutkirch, das mit dem Adjektiv „bekömmlich“ beworben wird. Seit 2012 sind nach der EU Gesundheitsversprechen auf Lebensmitteln nicht mehr erlaubt, sofern die Wirkungen auf die Gesundheit nicht wissenschaftlich nachgewiesen sind. Der Berliner “Verband Sozialer Wettbewerb” hat eine einstweilige Verfügung gegen die Brauerei erwirkt, um den Gebrauch des Adjektivs „bekömmlich“ zu untersagen.

Am 16.2. hat das Landgericht Ravensburg entschieden, dass das Adjektiv „bekömmlich“ nicht verwendet werden darf, da es als Synonym für „gesund“ verstanden wird, im Sinne von „verträglich für den Körper und seine Funktionen“. Demgegenüber steht die Interpretation der Brauerei, dass „bekömmlich“ als „gut für das Wohlbefinden“ gemeint ist. Legt man den Begriff von Gesundheit der WHO als „Zustand des körperlichen und geistigen Wohlbefindens“  zugrunde, so sind die Bedeutungen durchaus kompatibel (was viele Biertrinker bestätigen werden).

Hilft hier die Etymologie? Das Adjektiv „bekömmlich“ ist eine Ableitung vom Verb „bekommen“ im Sinne von „erhalten“.  Eine transparente Ableitung würde etwa „erhaltbar“ bedeuten. Ein derartiger Wortgebrauch ist aber nicht bekannt. Ursprünglich wird das Adjektiv in einer eher intransparenten Bedeutung im Sinne von „bequem“ oder „angemessen“ verwendet. In der 2. Hälfte des 19. Jh. taucht „bekömmlich“ in der Bedeutung „erträglich“ auf. Mit Gesundheit hat das nur am Rande zu tun. (18.02.2016)

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Wohl bekommt’s. Das Bier darf nicht als bekömmlich, aber als süffig bezeichnet werden, dabei ist “süffig” doch von “Suff” und “saufen” abgeleitet. Bild: http://hopfenliebe.com/category/media-de/

Nachtrag 1: Das Oberlandesgericht Stuttgart hat am 3.11. 2016 das Urteil des Ravensburger Landgerichts bestätigt: Ein Bier darf nicht mit dem Adjektiv “bekömmlich” beworben werden, da das als gesundheitsbezogene Angabe verstanden wird. Die etymologische Ableitung des Wortes spielt dabei juristisch keine Rolle. (10.11.2016)

Nachtrag 2: Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun endgültig entschieden: Bier darf nicht mit dem Adjektiv “bekömmlich” beworben werden. Mit “Wohl bekomms!” darf man aber noch anstoßen. (18.05.2018)

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Katzensturz

Katzensturz

Wie eine Katze auf den Beinen gelandet: Sturz von einer Mauer am Kupferbau in der Hölderlinstraße in Tübingen. Wer nahe herangeht, der sieht, dass die Figuren aus Folie aufgeklebt sind. Foto: St.-P. Ballstaedt (13.02.2016)

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Kurzdeutsch

In meiner Zeit im Ruhrgebiet waren mir vereinfachte dialektale Formulierungen aufgefallen: „Ich gehe Schule“; „Meine Oma ihre Tasche“, „Ich habe Rücken“. Artikel werden weggelassen, oft auch mit Präpositionen (Kontraktionen), vor allem der Genitiv wird vermieden.

Vergleichbare Formulierungen gehören auch zum Bestand des „Kiezdeutsch“, der „Ghettosprache“ oder des „Türkendeutsch“, das jetzt neutraler Kurzdeutsch genannt wird. Die Soziolinguistin Diana Marossek hat ihre preisgekrönte Doktorarbeit jetzt zu einem Buch verarbeitet: „Kommst du Bahnhof oder hast du Auto. Warum wir reden, wie wir neuerdings reden.“ Sie hat den Sprachgebrauch an 30 Berliner Schulen im natürlichen Umgang untersucht und genau diese Verkürzungen gefunden: „Gib mir Stift?“, „Verstehst du Text!“ , „Ich geh Döner“. Derartige grammatische Vereinfachungen sind ein Merkmal einer Pidgin-Sprache, die sich bei Personen herausbildet, um sich in einer fremdsprachigen Umgebung zu verständigen. Aber so sprechen nicht nur migrante Jugendliche, sondern auch Deutsche, es hat sich ein Soziolekt herausgebildet. Ein Soziolekt hat die Funktion, sich gegen außen abzugrenzen und intern ein Wir-Gefühl zu entwickeln. Jugendkulturen sind dabei besonders kreativ.

Ein Grund wieder einmal den Untergang der deutschen Sprache zu beklagen, ist das also nicht. Aber der Einfluss der Migranten auf das Deutsche ist derzeit natürlich ein heißes Thema! Die Wissenschaftlerin geht aber zu weit, wenn sie in ihrem Untertitel behauptet, dass das Kurzdeutsch inzwischen in die allgemeine Umgangssprache eingegangen ist. Davon habe ich nichts mitbekommen, auch wenn man selbst einmal sagt: „Ich fahre Bus“. (12.02.2016)

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