Die Nahrungsaufnahme für viele Zeitgenossen und –genossinnen zu einem Lebensinhalt geworden. Essen kann unter verschiedenen Bezugssystemen, modern Frames, thematisieren.
In der unmittelbaren Nachkriegszeit ist Essen ein Gegenpol zu Hunger. Man war dankbar, wenn man auf dem Schwarzmarkt, bei Hamsterfahrten oder durch Mundraub (Fringsen) alle satt bekam, die Qualität spielte dabei keine Rolle: Brotsuppen, Getreidebrei, Kartoffel-, Kohl- und Steckrübeneintöpfe kamen auf den Tisch. Hauptsache kalorienreich, Butter war ein rationiertes und sehr begehrtes Lebensmittel.
Konsequent beurteilt man in der folgenden Aufbauphase der Republik das Essen rein quantitativ. Ein Lokal wird empfohlen, wenn riesige Portionen aufgetischt werden. Auf eine raffinierte Zubereitung wird weniger Wert gelegt: große Fleischstücke (Schnitzel wie Klosettdeckel), viele Beilagen (Kartoffel- und Teigwarenberge), ein See von mehliger Soße (bevorzugt braun und aus der Tüte). Die Zeit solider Hausmannkost.
Daneben entwickelte sich eine gehobene Esskultur, bei der nicht die große Portion zählt, sondern eine gute Zubereitung und der kulinarische Genuss. Der Sozialcharakter des Gourmets entsteht, für den vor allem Wolfram Siebeck eine Lanze bricht. Leisten können sich nicht alle diese Küche, deshalb wird auch über die kleinen Portionen der Nouvelle Cuisine damals gespottet.
Heute soll Essen vor allem der Gesundheit dienen und Krankheiten vorbeugen. Geschmack und Genuss spielen eine untergeordnete Rolle, Hauptsache gesund und alle Zutaten bio. Bewährte Lebensmittel werden zu Killern erklärt, wie Butter, Eier, Weißbrot, Zucker, Salz. Zahlreiche Allergien und Unverträglichkeiten kommen auf, die früher zu den seltenen Krankheiten gehörten. Da alles im Überfluss zu kaufen ist, kann man sich kulinarische Subkulturen leisten, für die spezielle, meist teure Lebensmittel hergestellt werden: veganer Käse, glutenfreies Brot, Sojawurst usw. Was gern übersehen wird: Diese Lebensmittel sind erst durch eine ganze Reihe Ersatz- und Zusatzstoffe genießbar, es sind künstliche Fabrikprodukte. Guten Appetit! (20.11.2017)
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