Natürlich müssen Beleidigungen, Aufrufe zur Gewalt, Morddrohungen, Holocaustleugungen usw, die in der analogen Kommunikation unter Strafe stehen, auch in der digitalen Welt verfolgt werden. Sie darf kein rechtsfreier Raum sein. Deshalb ist die geplante Verschärfung des Strafrechts konsequent. Anonyme Hetze ist widerlich und inhuman. Nur zwei Bedenken: Die Grauzone zwischen erlaubten Sätzen und kriminellen Sätzen ist echt groß und schwer bestimmbar. Wer zieht die Grenze? Man denke nur an die Bezeichnungen für Frau Künast, die von der Justiz als freie Meinungsäußerungen durchgewinkt wurden. Als Kommunikationswissenschaftler ist mir bei Sprachverboten aber grundsätzlich nicht ganz wohl. Durch Sprachverbote und Löschen von Beiträgen verschwindet der Hass ja nicht, er wird nur einer Ausdrucksform beraubt und in den Untergrund verwiesen. Mir ist es allemal lieber, ich kann erkennen, von welchen Gesinnungen und Mentalitäten ich umgeben bin.
Einen ganz anderen Blick auf die Hass-Sprache hat der Literaturwissenschaftler Karl-Heinz Bohrer in seinem Buch: „Mit Dolchen sprechen: Der literarische Hass-Effekt“. Er untersucht die Ästhetik und Rhetorik literarischer Hasstiraden von Shakespeare über Strindberg bis Houellebecq. Das ist mutig in Zeiten der political correctness und nur möglich, weil er den Hass als exzessive menschliche Emotion völlig von politischen und gesellschaftlichen Prozessen abtrennt. Literaturwissenschaft im Elfenbeinturm. Von einer „poetologischen Signifikanz“ des Hasses kann man im Internet wohl kaum sprechen. (09.01.2020)
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