Mit Sicherheit

In der bekannten Bedürfnispyramide des Psychologen Abraham Maslow steht das Sicherheitsbedürfnis gleich nach den physiologischen Bedürfnissen wie Hunger, Durst, Schlaf, Sex. Es gibt kaum einen Zweifel, dass der Sicherheit eine immer größere Bedeutung zukommt, das zeigt z.B. die Brandschutz, der immer umfangreichere Maßnahmen erfordert.  Auch Baustellen sind ein Beispiel. Früher gab es ein gelbes Schild „Achtung Baustelle, heute gibt es umfangreiche Sicherheitskonzepte, die mit einer Serie von Piktogrammen dokumentiert werden. Wenn schon viele Unsicherheiten in der Welt drohen, möchte man wenigstens im Nahbereich auf Nummer sicher gehen. (18.08.20)

An der Baustelle für das Tübinger Hospiz: 16 Piktogramme, die teilweise auf Gefahren verweisen, die jeder vernünftige Mensch ohnehin vermeidet. Zum Vergrößern ins Bild klicken. Foto: St.-P. Ballstaedt

Nachtrag: Das folgende Foto stammt aus Leipzig und wurde mit der Anmerkung zugeschickt: „Bei uns in Leipzig ist die Sicherheit gefährdet – wir haben nur 12 Hinweise auf Gefahrenmomente.“ Foto: Wolfgang Scherer

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A star is born

Jetzt hat es das Gendersternchen geschafft: In der neue 28. Auflage des Duden wird es einen Abschnitt zum geschlechtergerechten Sprachgebrauch eingeführt. Es ist zwar „vom amtlichen Regelwerk nicht abgedeckt“, aber hat sich in der Schreibpraxis durchgesetzt. Allerdings neben einer Reihe anderer Varianten: SchülerInnen, Schüler_innen, Schüler/innen. Es steht nicht nur für männlich oder weiblich, sondern auch für weitere Geschlechtsidentitäten.

Obwohl ich mich für geschlechtergerechte Formulierungen einsetze, ist meines Erachtens der Asterisk keine gute Lösung. Die beiden Argumente sind bekannt.

  1. Der Asterisk, das Binnen-I, das Gender-Gap sind nicht mit den Grammatik-Regeln vereinbar. Ich könnte eher mit einem Zeichen leben, dass in der Schrift bereit vorkommt: Schüler-innnen, Schüler:innen.
  2. Die Schreibweise kann nicht gendergerecht ausgesprochen werden, denn man liest die weibliche Form. Abhilfe wäre ein Hiatus, eine Sprechpause an der Stelle des Sternchens.

Ich werde das Gendersternchen nicht benutzen, sondern versuche, andere Formulierungen zu finden: Schüler und Schülerinnen, Teilnehmende, Person. Mensch usw. Und wenn es auf das Geschlecht, welches auch immer, nicht ankommt, dann verwende ich sogar das verpönte generische Masculinum. Solche Kontexte gibt es wirklich noch! (14.08.2020)

Nachtrag. In der Wochenendausgabe vom 5./6. September hat die Frankfurter Rundschau bekannt gegegeben, dass ab jetzt der Doppelpunkt eingeführt wird: Leser:innen. Die Leiterin der Dudenredaktion, Frau  Kathrin  Kunkel-Razum rät vom Doppelpunkt ab: „Wir finden den Doppelpunkt nicht günstig gewählt, weil der in der Sprache, im Satzbau beispielsweise, so klar mit bestimmten Funktionen belegt ist.“ Das Gendersternchen ist hingegen ein Zeichen, das bisher in der Schriftsprache keine Funktion hatte (früher gab es einmal das Fußnotensternchen).

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Weg zum Glück

Zum dritten Mal habe ich eine Broschüre in meinem Briefkasten gefunden „Der Weg zum Glücklichsein“. Ich freue mich natürlich, dass sich jemand anonym um mein Glück kümmert, denn es hat sich kein Absender eingeschrieben.

In den Texten findet man wirklich viele nützliche Imperative, z. B. „Genießen Sie Alkohol nicht im Übermaß“, „Treiben Sie keine Promiskuität“, „Erzählen Sie keine schädlichen Lügen“, „Kommen Sie Ihren Verpflichtungen nach“, „Seien Sie kompetent“ und „Morden sie nicht“. Mancher Tipp kommt einem bekannt vor und im Impressum, das man mit der Lupe lesen muss, entdecke ich „L. Ron Hubbard Library“, also Scientology! Aber einen wirklich guten Rat habe ich gleich auf der Seite 1 in einer Fußnote gelesen:

„Wörter haben manchmal mehrere verschiedene Bedeutungen. In den Fußnoten dieses Buches finden Sie jeweils nur die Bedeutung, die das Wort im Textzusammenhang hat. Sollten Sie in diesem Buch irgendwelchen Wörtern begegnen, die Ihnen nicht bekannt sind, so schlagen Sie diese in einem guten Wörterbuch nach. Anderenfalls können Missverständnisse und möglicherweise Unstimmigkeiten entstehen!“

Missverständnisse und Unstimmigkeiten sind für manches Unglück verantwortlich, deshalb sollte diese Fußnote für alle Bücher obligatorisch sein. (10.08.2020)

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Gestaltprinzip

So wird der Mensch zum Schwein. Aufkleber von PeTA, der mit dem Figur-Grund-Prinzip der Wahrnehmungspsychologie spielt. Foto: St.-P. Ballstaedt (09.08.2020).

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Verschwörungen

Die Covid-19-Pandemie offenbart wieder einmal dramatisch, wie das menschlich Gehirn in Extremsituationen tickt. Für viele Menschen ist Unsicherheit und Bedrohung schwer erträglich, sie suchen eine Erklärung und akzeptieren dabei auch abstruse Erklärungen, wie sie sich derzeit vor allem im Netz und auf Demonstrationen verbreiten. Derselbe kognitive Mechanismus ist auch für die Wirkung von Glaubenssystemen zuständig: Existenzängste, Krankheiten, Tod, das ist nur mit einem entsprechenden Glauben auszuhalten, wobei zu beobachten ist, dass ein Wahnsystem umso erfolgreicher ist, desto surrealer, verworrener und widersprüchlicher es sich präsentiert. Das stärkt den Zusammenhalt unter den Gläubigen und grenzt radikal vom Rest der Menschheit ab. Wie hieß es nicht schon in der christlichen Theologie: Credo quia absurdum est. Die Verschwörungstheoretiker als Corvidioten zu beschimpfen wird nichts bringen, denn sie brauchen ihr Denksystem zur Stütze ihrer personalen und sozialen Identität. Deshalb sind sie auch keiner Argumentation zugänglich. Aber wer ist anfällig für diese Reaktion auf Gefühle der Bedrohung und Unsicherheit? Man kann ja auch anders reagieren, z.B. wissenschaftliche Untersuchungen durchführen oder wenigstens zur Kenntnis nehmen, deren Befunde zwar auch keine ewigen Wahrheiten darstellen, aber wenigstens vernünftige Handlungen anleiten können. Aber vielleicht ist die Wissenschaft ja auch nur ein Glaubenssystem unter anderen. (04.08.2020)

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Bilderrätsel 13

Was sind das für merkwürdige Strukturen (vergrößern hilft)? Auflösung im Kommentar. Foto: St.-P. Ballstaedt (30.07.2020)

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Oulipo

Die im letzten Beitrag  vorgestellt Literatur in Leichter Sprache kann als ein oulipotischer Versuch eingeordnet werden. Oulipo ist ein Akronym für L‘ Ouvroir de Littérature Potentielle“, übersetzt etwa „Werkstatt für Potentielle Literatur“, einem Zusammenschluss vorwiegend französischer Autoren, gegründet 1960 von Raymond Queneau und Francois Le Lionnais. Ihm gehören z.B. Italo Calvino, Marcel Duchamp und Oskar Pastior an. Die Mitglieder bleiben auch nach ihrem Ableben Mitglieder, sie sind bei Zusammenkünften wegen Todes entschuldigt.

Das Anliegen von Oulipo ist eine Erweiterung sprachlicher Möglichkeiten durch selbstgesetzte Schreibregeln, die von sprachlichen Routinen befreien und zu kreativen Ausdrucksmöglichkeiten führen sollen. Ein kurioses Beispiel ist der Roman »La Disparition« von Georges Perec, der den Buchstaben „e“ nicht benutzt. Er wurde unter dem Titel »Aton Voyls Fortgang« ebenfalls ohne „e“ ins Deutsche übersetzt (erschienen 1986 bei Zweitausendeins). Hier eine Leseprobe:

„Macht war somit durch Abschaffung und Auslöschung unmöglich: zwo Tag darauf schoß man mit Tanks vom Quai d’Anjou aus aufs Dach vom Turm Sully-Morland, wo Magistrat und Administration Zuflucht fand. ’N Amtsrat ging bis hinauf aufs Dach, winkt mit’ m Tuch, das grau und farblos war, und tat durchs Mikrophon kund, daß man schlicht und schmucklos abdankt, und bot dann, für sich, sofort Kollaboration an. Doch das nützt ihm nichts, man tat, was schon in Planung war, man griff mit Sturmtanks an, rücksichtslos, und da gabs nicht Mahnung noch Ultimatum.“

Die Herkunft der Idee des kreativen „contrainte“ aus der Pataphysik des Alfred Jerry und dem Surrealismus ist unverkennbar. Schreiben in Leichter Sprache kann als ein derartiger oulipotischer Zwang gesehen werden. (23.07.2020)

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Literatur für alle

Die Leichte Sprache (LS) wurde für Menschen mit kognitiven Behinderungen entwickelt, um ihnen eine barrierefreie Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. So sind inzwischen viele Websites offizieller Institutionen und auch wichtige Dokumente in leichter Sprache abrufbar.

Aber was ist mit Literatur? Soll man Jules Verne, Mark Twain, Shakespeare in Leichte Sprache übersetzen. Man hat es getan, um Menschen mit eingeschränkten Sprachfähigkeiten von der Literatur nicht auszuschließen. Die Geschichten bleiben so erhalten, aber die poetische Sprache geht natürlich verloren. Aber was ist, wenn Literatur gleich in Leichter Sprache geschrieben wird? 13 zeitgenössische Autorinnen und Autoren haben das in einem Projekt am „Literaturhaus Frankfurt am Main“ getan, darunter bekannte Namen wie Alissa Walser, Arno Geiger, Judith Hermann. Das Buch hat leider einen unschönen Titel und ein unschönes Cover:

 

 

 

Hauke Hückstädt (Hrsg.): LiEs das Buch! Literatur in einfacher Sprache. München: Piper, 2020.

 

 

 

 

Einige Geschichten habe ich gelesen und bin überrascht, dass mir die Lektüre nicht langweilig wurde, trotz einfacher Wörter und Sätze. Viele Hauptsätze, wenige nachgeordnete Nebensätze, wenige Sprachbilder, die erklärt werden, viele Wortwiederholungen, viele Verben statt Nominalisierungen. Aber auch mit eingeschränktem sprachlichem Werkzeug kann man gute Geschichten erzählen, z.B. über eine jüdische Familie in einem Versteck in Amsterdam mit dem anspruchsvollen Titel. »Die Zeit ist ein Einweck-Gummi. Sie ist ohne Anfang und Ende« von Alissa Walser. Oder die Erzählung über eine langjährige Ehe, »Ich verlasse dich« von Julia Schoch. Aus ihr habe ich zwei Seiten abfotografiert, damit man sich einen Eindruck von diesem Stil verschaffen kann (zum Vergrößern ins Bild klicken).

Der Herausgeber rechnet mit 16 bis 17 Millionen Menschen als Adressaten im engeren Sinn: Menschen mit Behinderungen, funktionale Analphabeten,  Menschen mit Lese-Rechtschreib-Schwäche, Migranten, die Deutsch lernen. Aber die Texte sollen keinen Lesenden unterfordern, auch nicht einen entdeckungsfreudigen Akademiker. (22.07.2020)

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Lecker

Drogen in Tübingen? Kein Problem! Hier ein Angebot auf einer Kachel im Pissoir des Kinos Atelier. Foto: St.-P. Ballstaedt (20.07.20)

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Emoji-Tag

Jetzt habe ich doch tatsächlich gestern am 17.Juli den Welt-Emoji-Tag vergessen! Wenigstens nachträglich ein Rätsel: Welches Sprichwort wird hier dargestellt? Auflösung im Kommentar.

Die digitale Archäologie der Emojis ist noch nicht völlig erforscht, wie so oft gibt es eine Reihe von Vätern. Scott Fahlmann schlug 1982 die Smileys für die digitale Kommunikation vor, Shigetaka Kurita entwarf die erste Kollektion aus 176 Piktogrammen. Inzwischen hat Unicode über 3300 Emojis genehmigt und es kommen immer neue dazu. Wer konnte ahnen, dass sich aus den schlichten Bildchen ein visuelles Zeichensystem für die globale Kommunikation entwickeln sollte. (18.07.2020)

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