Smombie

Wie jedes Jahr wird von einer Jury des Langenscheidt-Verlags aus einer Liste von Einsendungen das Jugendwort des Jahres gekürt. Diesmal Smombie, eine Kontamination aus Smartphone und Zombie, die einen Menschen bezeichnet, der immer auf sein Smartphone glotzt und von der Umwelt nichts mitbekommt. Das ist ohne Zweifel eine witzige und treffende Bezeichnung, aber es bestehen Zweifel daran, dass das Wort tatsächlich unter Jugendlichen verbreitet ist. Im letzten Jahr war das Wort „kirscheln“ der Sieger, das vorher auch kaum jemand im passiven oder aktiven Wortschatz hatte. Zur Auswahl standen: merkeln; rumoxidieren; Earthporn; Smombie; bambus; Tinderella; Discopumper; Swaggetarier; Augentinnitus; shippen (14.11.2015)

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Chinesische Weisheit

Jeder, der etwas Geistreiches über Bilder sagen möchte, zitiert die Sentenz: Ein Bild ist mehr wert als tausend Wörter. Angeblich handelt es sich um ein chinesisches Sprichwort. Als ich vor Jahren Chinesen unterrichtete, wollte ich mit der Kenntnis des Sprichwortes punkten, aber kein Chinese hatte es je gehört. Das machte mich misstrauisch und ich begann zu recherchieren. Wo kommt der Ausspruch her?

1. Nicht das Sprichwort, aber die Idee als Vorläufer findet man bereits 1862 in Turgenev Roman „Vater und Söhne“: The drawing shows me at one glance what might be spread over ten pages in an book“.

2. Das Sprichwort ist eine Erfindung des amerikanischen Werbefachmanns Frederick R. Barnard. In der Fachzeitschrift Printers´ Ink schrieb er 1921 „One look is worth a thousand words“, um für Bildreklame auf Straßenbahnen zu werben. Der Satz stammt angeblich von einem berühmten japanischen Philosophen. 1927 gestaltet er eine weitere Anzeige zu Backpulver, die das Sprichwort von tausend auf zehntausend Wörter erweitert und jetzt als chinesische Weisheit ausgegeben wird. Später wird Barnard in einem Buch über Sprichwörter mit dem Bekenntnis zitiert, dass er den Satz als asiatisches Sprichwort bezeichnet hat, damit er ernst genommen wird. Tatsächlich wird der Satz später sogar Konfuzius zugeschrieben.

3. Die Sentenz verbreitet sich in zahlreichen Abwandlungen und Kontexten. Im deutschen Sprachraum taucht der Satz „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ bereits 1926 als Titel eines Artikels von Peter Panter = Kurt Tucholsky in der Zeitschrift „Uhu“ auf. Er schreibt dort: „Ein Bild sagt mehr … Hunderttausend Worte wenden sich an den Verstand, an die Erfahrung, an die Bildung – das Bild …

»Was ihm die Schrift nicht sagen kann, das ist das G’mäl’ für den g’meinen Mann.«

Wenn der alte treffliche Ferdinand Kürnberger die Entwicklung der modernen Illustrationspresse hätte voraussehen können, so hätte er wahrscheinlich nicht schlecht geflucht: er hielt diese Abkürzung der Beweisführung für Verflachung. Und weil ein Bild mehr sagt als hunderttausend Worte, so weiß jeder Propagandist die Wirkung des Tendenzbildes zu schätzen: von der Reklame bis zum politischen Plakat schlägt das Bild zu, boxt, pfeift, schießt in die Herzen und sagt, wenns gut ausgewählt ist, eine neue Wahrheit und immer nur eine. Es gibt Beschreibungen, die die Bilder übertreffen, aber das ist selten. Es gibt hunderttausend Fotografien, die den besten Schilderer übertreffen, das ist die Regel …“

Fazit: Kein chinesisches Sprichwort. Das bestätigt auch das Ostasieninstitut. (12.11.2015)

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Werbung 1927: Die Geburt eines chinesischen Sprichworts. Beliebt und weise, aber nicht immer chinesisch. Quelle: University of Regina

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Charakterkopf

Charakterkopf

Ein schlichtes, aber eindrückliches Portrait an einer Hauswand in der Haaggasse in Tübingen. Foto: St.-P. Ballstaedt (11.11.2015)

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Gedankengut

Mein Lieblingswort des November 2015. Es klingt heimelig und beruhigend, obwohl es nach Wortschatzerhebungen meist in eher beunruhigen Kombinationen gebraucht wird: rechtsradikales Gedankengut, faschistisches Gedankengut, rassistisches Gedankengut oder fundamentalistisches Gedankengut (in der linguistischen Fachsprache: signifikante linke Kookkurrenten). Das Substantiv „Gut“ bedeutet ursprünglich geistiger oder materieller Besitz, erhalten in der Wendung „Hab und Gut“ und in den Komposita Landgut, Saatgut, Stückgut usw. (07.11.2015)

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Die 9. Kunst

Der Journalist und Schriftsteller Francis Lacassin prägte 1971 mit seinem Essay Pour un neuvième art: La bande dessinée den Ausdruck „Neunte Kunst“ für den Comic. Die Autoren und Autorinne müssen nicht nur eine Geschichte erfinden, sondern sie visuell und sprachlich auch umsetzten können. Bilderzählungen verbinden das Sehen in der Malerei mit dem Anschauen von Filmen und dem Lesen von Literatur. Für die Betrachtenden und Lesenden sind Comics durchaus kognitiv anspruchsvoll, denn zum Verstehen müssen die Weißräume zwischen den Bildern erschlossen werden. In manchen Intelligenztest (z. B. im AIT = Analytischer Intelligenztest) wird als Aufgabe verlangt, einzelne Bilder in eine narrative Ordnung zu bringen. Damit wird das Erkennen von Handlungs- und Sinnzusammenhängen überprüft!

Der 36. Astérix-Band „Le Papyrus de César“ ist erschienen, ich habe die französische Ausgabe gelesen, die Story ist in Ordnung, aber die running Gags sind doch vorhersehbar. Ich bewundere Zeichner und Texter, die unter den Argusaugen von Uderzo und der Nachlassverwalter von Goscinny arbeiten müssen. (05.11.2015)

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Eine Szene des neuen Astérix auf Seite 10 spielt vor der Villa Rustica in Hechingen. Foto: Impressionen Hechingen. www.zollernalb.com

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Mensch und Pass

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Dieser Text wurde in der Tübinger Altstadt auf viele Mauern und Wände geklebt. Foto: St.-P. Ballstaedt (04.11.2015)

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Die rote Fahne

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„The people’s flag is deepest red“, sie weht auf einem Garagentor beim Finanzamt Tübingen. Foto: St.-P. Ballstaedt (03.11.2015)

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Broken Windows

Zwei amerikanische Sozialforscher haben 1982 die Broken-Windows-Theorie entwickelt, eigentlich zur Erklärung der Verwahrlosung von Stadtteilen und der Entwicklung von Kriminalität, der aber mit einem plausiblen Theorem startet: Eine eingeschlagene Scheibe, ein Haufen Müll oder ein Graffito an einem Gebäude ziehen unweigerlich weitere Zerstörung, Ablagerung und Bemalung nach sich. Sie dienen als Zeichen, dass hier der öffentliche Raum nicht kontrolliert wird. (31.10.2015)

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In jeder Großstadt zu beobachten: Die Häufung von Graffitis an bestimmten Gebäuden, links in Leipzig (Foto: Wolfgang Scherer), rechts in Gelsenkirchen (Foto: St.-P. Ballstaedt)

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Kunst in der Natur

Goldener Oktober. Heute eine kleine Wanderung im Schönbuch von Waldenbuch zum Sulzbach-Stausee. Der Rückweg führt über einen Skulpturenradwanderweg “Kunst in der Natur”, auf dem z.B. folgene Installation zu bewundern ist. Ob es sich hier um Kunst handelt, interessiert mich nicht, aber muss man ein abgelegenes, schönes Tal mit derartigen Artefakten dekorieren? (28.10.2015)

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Kunst in der Natur. Sie käme gut ohne sie aus. Foto: St.-P. Ballstaedt

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Kryptische Botschaft

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Etliche Mitteilungen im öffentlichen Raum haben nur wenige oder sogar nur einen Adressaten, für andere bleiben sie unverständlich: am Schimpfeck in Tübingen Foto: St.-P. Ballstaedt (26.10.2015)

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