In der FR hat ein Artikel über Störche eine Diskussion über das Gendern von Tieren ausgelöst. In dem Text ist immer von Störchen die Rede, die Störchinnen wurden nicht berücksichtigt. Es gibt das (sächliche) Schwein in den Geschlechtern Sau und Eber oder das (sächliche) Pferd in den Geschlechtern Hengst und Stute. Ein Vorteil von Schwein und Pferd: Auch diverse Tiere sind mitgemeint. Aber bei anderen Tieren wird es schwierig. Man spricht gedankenlos von Katzen und behauptet einfach, die Kater mit zu meinen. Oder was ist mit dem Wurm, warum gibt es keine Wurme oder Wurmin? Und die Schlange, da fehlt doch der Schlang oder ein Schlangerich. Tiere können sich nicht wehren, da kann man rücksichtslos drauflos reden. (20.04.2021)
Heilssuche
In einem Artikel in der Frankfurter Rundschau habe ich gelesen, dass in Frankreich im Verlauf der Covid-Pandemie etwa 500 sektenähnliche Gruppen entstanden sind. Die Grenzen zwischen Sektierern, Gesundheitsaposteln und Verschwörungstheorien sind dabei fließend. Darunter sind neue Gurus und esoterische Gruppen mit Heils- und Heilungsversprechen. Auf den deutschen Querdenker-Demos wird man eine ähnliche Mischung entdecken.
Im Umgang mit der Pandemie lässt wie in einem Labor die Entstehung religiöser Überzeugungen und Glaubensinhalte beobachten: Schon David Hume sah in den Ängsten und Sorgen, die die Menschen umtreiben, eine Wurzel religiöser Glaubensvorstelllungen: Religion als Erklärung für Bedrohliches, Religion als Beruhigungs- und Heilmittel und Religion als Kooperationsverstärker, der Menschen in Gruppen ein Wir-Gefühl verschafft.
Dabei sind selbst die aberwitzigsten Vorstellungen und Praktiken nützlich: Das Virus wurde durch den Mobilfunkstandard 5G ausgelöst; Bill Gates ist Produzent des Virus, das als Biowaffe freigesetzt wurde; mit dem Impfstoff werden Mikrochips verabreicht; das Virus wirke nur bei denen, die nicht an Gott glauben; der Aluhut dient der Abwehr telepathischer Einflüsse; eine Urintherapie schützt vor SARS-CoV-2 usw. usw. Offenbar ist jede Erklärungs- und Abwehrmaßnahme willkommen, um der Unsicherheit zu entgehen, mit der Menschen offenbar schlecht zurechtkommen. (12.04.2021)
Bilderrätsel 18
Was habe ich hier fotografiert? Auflösung im Kommentar. Foto: St.-P. Ballstaedt (07.04.2021)
Stern
Man merkt, dass wenig Studiernde in Tübingen weilen, ich finde keine interessanten Sticks oder Stencils mehr. Hier ein ausgeschnittener Stern, der ein Regenfallrohr in der Bursagasse verschönert. Foto: St.-P. Ballstaedt (05.04.2021)
Funzen
Im Duden-Verlag ist ein Büchlein erschienen, das der Journalist Andreas Neuenkirchen zusammengestellt hat. „Kann man sagen, muss man aber nicht. “ Es enthält eine Sammlung von Wörtern, die als Plattitüden, Scheußlichkeiten und sprachliche Unfälle bezeichnet werden. Der Autor möchte nicht als Sprachpolizist auftreten, er will keine Sprachgewohnheit verdammen, aber doch „einen kritischen Blick werfen auf einige oft unachtsam nachgeplapperte und viel zu schnell verinnerlichte Wortungetüme (S. 6). Er betitelt sein Vorwort clever mit: Eine Kritik an der Kritik der Sprachkritik.
Vielen Bewertungen von Wörtern kann ich aber nicht folgen. Ein Beispiel des Verb „funzen“, das für „Funktionieren“ verwendet wird. Nach den Beispielen im Leipziger Wortschatz ist es 2018 aufgekommen, bei der taz ist es sehr beliebt: „Aber schon diese zwei Punkte erfordern auch im Kapitalismus erhebliche Veränderungen, wenn der weiter funzen soll“ (28.03.2018). Mir gefällt die knackige Wortverkürzung, der Autor mag sie nicht.
Es gibt übrigens einen Vorläufer: Der Schauspieler und Kabarettist Walter Gross trat nach Kriegsende im Berliner Hörfunk-Kabarett „Die Insulaner“ als Jenosse Funzionär auf und persiflierte die politische Funktionäre. (31.03.2021)
The hill we climb
Gleich vorweg: Ich halte nicht viel von der Übersetzung von Lyrik. Es geht immer etwas verloren, inhaltliche Nuancen, der Rhythmus und die Metrik, der Klang und der Reim, der Assoziationshof der Wörter, Mehrdeutigkeiten usw. Selbst Übersetzerinnen und Übersetzer, die Milieu und Mentalität des Dichters kennen, können nur einen vagen Eindruck vom Original vermitteln, bestenfalls also eine Nachdichtung..
Die schwarze Poetin Amanda Gorman hat beim Amtseintritt von US-Präsident Jo Biden ein kraftvolles Poem vorgetragen, dessen 19 Strophen in den nächsten Tagen auch auf Deutsch erscheinen wird. Aber schon der Titel „Den Hügel hinauf“ zeigt das Problem der Übersetzung: Im Original „The Hill we climb“. Wo ist das Wir geblieben, das im Gedicht noch mehrfach vorkommt und sicher inhaltlich nicht unbedeutend ist. Eine Übersetzerin gab den Auftrag wieder zurück, einem Übersetzer wurde er wieder entzogen. Denn das Argument wurde verbreitet, dass ein Gedicht einer schwarzen jungen Frau nur eine schwarze junge Frau übersetzen könne. Also wieder einmal Identitätspolitik, in der Hautfarbe, Herkunft und Geschlecht offenbar die einzigen Merkmale einer Persönlichkeit sind.
In Deutschland wollte der Verlag Hoffmann und Campe nichts falsch machen und hat drei Frauen mit der Übersetzung beauftragt: eine schwarze Journalisten (Hadija Haruna-Oelker), eine türkische Muslima (Kübra Gümüsay) und eine weiße deutsche Übersetzerin (Uda Strätling). Das ist sicher ein interessantes Experiment, aber was bedeutet das für zukünftige Übersetzungen?
Und die Forderungen gehen in diese Richtung weiter: Am Theater sollen Rollen von Schwarzen nur mit Schwarzen besetzt werden, das leuchtet ein, aber wir sind ja inzwischen schon lange soweit, dass schwarze Mimen auch weiße Personen spielen. Darf das denn sein? Abartig wird aber die Idee, dass die Rollen von Schwulen nur noch von Schwulen gespielt werden dürfen. Zuende gedacht: Nur Prostituierte dürfen Prostituierte darstellen, Alkoholiker nur Alkoholiker. Und nur Kriminelle dürfen Kriminelle spielen, immerhin ein interessantes Resozialisierungsprogramm. (29.03.2021)
Ein Auftritt am 20.01.2021, der die Dichterin Amanda Gorman auf einen Schlag auf der ganzen Welt bekannt gemacht hat. Foto: Wikimedia Commons
Flitzpiepe
Wieder einmal habe ich ein Wort gelesen, das ich noch nicht kannte, und das auch noch im SPIEGEL: Flitzpiepe. Offensichtlich im norddeutschen Raum nicht ungebräuchlich, wie meine Recherchen ergaben. Mit Flitzpiepe wird eine Person bezeichnet, die man nicht ganz ernst nehmen kann und die nichts auf die Reihe bekommt, ein Troddel eben.
Verwundert hat mich die Wortbildung. Piepe ist eine Pfeife, das passt ja noch, auch Pfeife ist ja ein Schimpfwort. Aber Flitz ist ursprünglich der Pfeil (Flitzbogen, frz. flèche) und „flitzen“ bedeutet, so schnell laufen wie ein Pfeil fliegt. Flitze ist ein älterer Ausdruck für Straßenprostituierte, Flitzeritis für Durchfall! Aber wie passt Flitzpiepe zusammen? Für mich ein intransparentes Kompositum. (21.03.2021)
Resilienz
Die Begriffe, die in der lebenspraktischen Psychologie gerade Konjunktur haben, verraten etwas über die Befindlichkeiten der Gesellschaft oder zumindest bestimmter gesellschaftlicher Gruppen: Selbstverwirklichung, soziale Intelligenz, Achtsamkeit, Empowerment, Enhancement und derzeit Resilienz.
Der Begriff bezeichnet in der Psychologie die Widerstandsfähigkeit einer Person, sich trotz ungünstiger Lebensumstände und kritischer Lebensereignisse positiv zu entwickeln (der Gegenbegriff ist Vulnerabilität bzw. Verwundbarkeit). Den Begriff der Resilienz gibt es in der amerikanischen Psychologie bereits in den 1950er Jahren. Es wurden seitdem Programme entwickelt, wie Menschen diese Eigenschaft trainieren können, um gegen negative Ereignisse besser gewappnet zu sein.
Später macht Resilienz auch in der Soziologie Karriere. Hier bezeichnet er die Widerstands- und Regenerationsfähigkeit von Gesellschaften angesichts von Katastrophen verschiedener Art. Und an denen gab es in den letzten Jahren keinen Mangel: Finanzkrise, Migrationskrise, Klimakrise, Terroranschläge und jetzt auch noch eine Pandämie. Das moderne Machbarkeits- und Fortschrittsdenken bekommt einen Dämpfer.
Wir erleben, dass der Umgang mit dem Virus und seinen Mutanten sowohl Individuen wie Staaten überfordert. Mit Bedrohung, Einschränkung, Verzicht und Verlust können viele Menschen nicht umgehen, das sind sie einfach nicht gewohnt und flüchten nach Malle, um endlich wieder am Strand zu liegen. Und die Politiker stecken in der Klemme: Gesundheitsvorsorge gegen Wirtschaftswachstum, Einschränkung der Bürgerrechte gegen erhöhte Mortalität, eine Gradwanderung, bei der die Balance schwer zu halten ist. Und dann die Herausforderung, Millionen von Menschen innerhalb kürzester Zeit zu impfen: Ausgerechnet die Deutschen bekommen das nicht gebacken!
Nach dem Soziologen Andreas Reckwitz ist Resilienz das Schlüsselwort der Politik des 21. Jahrhunderts. (17.03.2021)
Eine gute Nachricht: Der Asteroid 2001 FO32 rast auf seiner Flugbahn mit 124 000 Stundenkilometern an der Erde vorbei! Foto: Wikimedia Commons
Impfneid
Dass die COVID-19-Pandemie unseren Wortschatz bereichert hat, darüber habe ich schon geschrieben. Das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache hat inzwischen über 1000 neue und umgedeutete Wörter registriert, von „Alltagsmaske“ über „Nacktnase“ zu „Zoomparty“. Mein derzeitigen Lieblingswörter sind „Inzidenzshoppen“ und „verimpfen“. Aber woher kommt eigentlich das schöne Wort „impfen“.
Das Wort wandert aus dem Griechischen in das späte Lateinische ein und stammt aus dem Gartenbau: Einen Obstbaum impfen, das bedeutet ursprünglich einen Ast aufpfropfen (lat. imputare einschneiden). Und wie kommt es zur medizinischen Bedeutung? 1717 werden in England erstmals künstliche Blattern erzeugt, um Abwehrstoffe gegen diese Krankheit zu erzeugen. Dieses Verfahren, „ingrafting“ oder „inoculation“ genannt, wurde als „einimpfen“ ins Deutsche übersetzt. (10.03.2021)
Frauentag
Überall in Tübingen hängt ein Wahlplakat der FDP-Landtagskandidatin Irene Schuster, das Anstoß erregt hat, vor allem bei einer Frau, die einen Leserbrief an das Schwäbische Tagblatt geschrieben hat. Sie ärgert sich über die Pose der Kandidatin, denn damit werde das alte frauenfeindliche Klischee bedient, „Frauen müssten ihre körperlichen Reize einsetzen, wo es an Kompetenz fehlt.“. Die Unterstellung: Frau Schuster hat inhaltlich nichts zu bieten und stellt deshalb ihre Figur aus. Aber wer bedient hier eigentlich ein frauenfeindliches Klischee? Frau Schuster steht selbstbewusst da, wie viele männliche Kandidaten auf Wahlplakaten auch, die sich selbstbewusst, lässig und dynamisch präsentieren. Einer der in der Wahl bemühten Experten für Körpersprache würde wahrscheinlich ein gewisse Angriffslust in der Pose analysieren, aber sicher keine inhaltliche Inkompetenz. (08.03.2021)
Die verärgerte Leserbriefschreiberin ist übrigens Frau Petra Seitz, eine Kandidatin der Linken, allerdings nicht im Wahlkreis Tübingen. Foto: St.-P. Ballstaedt