Sex mit Zanzu

Als Projekt der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZGA) und dem Flämischen Expertenzentrum für Sexuelle Gesundheit (Sensoa) ging die Website „Zanzu. Mein Körper in Wort und Bild“ 2015 online. Gedacht ist die Internetseite primär für Migrantinnen und Migranten mit geringen Sprachkenntnissen und geringen Kenntnissen über Körper und Sex. Aber auch andere Gruppen mit derartigen Problemen sind auch adressiert. Die Site bietet 13 Sprachen an, die Navigation ist einfach, es gibt eine Vorlesefunktion, ein Wörterbuch und viele Bilder.

Sexualkunde war schon immer ein Aufreger: Was vermittelt man, was lässt man weg. So handelt es sich um kein Kamasutra, in dem auch noch die „Hausnummer“ als Position gezeigt wird. Aber die wichtigsten sexuellen Spielarten werden neutral und sachlich vorgestellt. Eine guter Quickstart sozusagen. Natürlich gibt es im Detail Kritik, so sind die Formulierungen doch noch recht komplex, eine Variante in Einfacher Sprache und Gebärdensprache ist in der Mache. Warum das Thema Jungfernhäutchen ausführlich behandelt wird, das hat wohl mit unseren islamischen Flüchtlingen zu tun.

Sex-Piktos   Jungfernhaeutchen

Der visuelle Anteil besteht aus einem Satz von Piktogrammen zur Navigation. Sie zeigen meist Silhouetten-Personen, die mit einem Symbol oder einem Smiley kombiniert sind. Es wäre eine interessante Aufgabe zu klären, ob die Piktogramme interkulturell verstanden werden. Einige Piktogramme sind wohl etwas zu komplex und ohne sprachliche Unterschrift nicht verständlich, z.B. das für Jungfräulichkeit, aber die Visualisierung dieses Abstraktums ist auch eine schwierige Aufgabe. Andere Piktogramme sind explizit, was kommunikativ durchaus sinnvoll ist, z. das für Jungfernhäutchen.

Vorspiel

Zur Veranschaulichung gibt es pastellfarbige Zeichnungen und ein paar Fotos (z.B. von Präservativen). Man hat sich große Mühe mit der political correctness gegeben: Es werden Pärchen in allen ethnischen Kombinationen angeboten: beide weiß, beide schwarz, Frau schwarz/Mann weiß, Mann schwarz/Frau weiß. Die Website wird von rechtspopulistischen Gruppen trotzdem scharf angegangen, weil sie angeblich Sex von Migranten und Flüchtlingen mit einheimischen Frauen fördert und zur Rassenmischung beträgt. (03.04.2016)

0

Filmanzeiger

Aus der Mode gekommen und nur noch selten zu sehen: Die roten Blockbuchstaben, mit denen ein Kino die laufenden Filme anzeigt. Es ist auch umständlich, alle paar Tage auf einer Leiter die roten Plastikbuchstaben in die Führungsschienen zu schieben. Zudem sind manchmal auch fremdsprachliche Kenntnisse gefordert. (02.04.2016)

IMG_0003     995692_620469191297321_436569027_n

Das Kino Museum in Tübingen wirbt noch mit den roten Blockbuchstaben. Foto: St.-P. Ballstaedt. Anzeige des Films „The place beyond the pines“ im Studio im Isabella in München. Foto: Jürgen Heinze (auf Facebook)

0

Erdowann

Der Film auf NDR extra 3 über Recep Erdogan soll Satire sein? Er zeigt und beschreibt doch, wenn auch sprachlich und bildlich mit ungewöhnlichen journalistischen Mitteln, die innenpolitischen Aktivitäten des türkischen Ministerpräsidenten. Das ist sozusagen ein Dokumentarfilm. Wir dürfen uns freuen, neben Viktor Orban bald einen weiteren starken Mann in die EU zubekommen. (31.03.2016)

1

Historischer Humor 2

Hans Bayer alias Thaddäus Troll hatte sich 1939 um die Aufnahme in die Propaganda-Kompanie (PK) beworben und war Kriegsberichter im Zweiten Weltkrieg. Für die Armee-Zeitung „Der Sieg“ schrieb er Reportagen von der Front, aber auch feuilletonistische Beträge, z.B. „Über das Schlafen“. Der in heute ungewöhnlicher Typografie gestaltete Titel ist mit einem erotischen Bildwitz grafisch verbunden, der die bürgerliche Moral der Enthaltsamkeit vor der Ehe mit der Doppeldeutigkeit des Ausdrucks „zusammen schlafen“ unterläuft. Der Text dazu beginnt mit dem Satz: „Wer schläft, sündigt nicht. Aber wer vorher sündigt, schläft gut.“ Das ist ein Zitat, das Casanova zugeschrieben wird. (28.03.2016)

IMG_0808

Witz für Soldaten aus der Armee-Zeitung „Der Sieg“ 1943. Foto: St.-P. Ballstaedt

2

Integration mit Bildern

Die Flüchtlinge mit fremden Sprachen haben zu etlichen Versuchen inspiriert, bildliche und piktografische Anleitungen für das Verhalten in unserer Kultur zu entwickeln. Ein Beispiel ist eine Broschüre „Abfall ohne Worte“ zur Mülltrennung, das der Abfallwirtschaftsbetrieb des Landkreises Tübingen herausgegeben hat. Ursprünglich für Studierenden-Wohnheime gedacht, wird es jetzt auch in Flüchtlingsunterkünften verteilt. Was daran auffällt, ist die kindliche Gestaltung mit lustigen und bunten Comicfiguren. Entworfen haben die Bilder Schülerinnen und Schüler der 3. Klasse der Grundschule Wendelsheim. Das Engagement der Schülerinnen und Schüler in Ehren, aber sind die Zeichnungen für Erwachsene aus fremden Kulturen passend? Oder kommen sie sich veralbert vor?

Ein Beispiel aus den 80er Jahren: Der Kundendienst der Daimler-Benz AG hatte eine bildliche Anleitung für Nutzfahrzeuge für afrikanische analphabetische Adressaten entwickelt. Dabei wurde eine Comicfigur eingeführt, die als Vermittler, Mahner oder Helfer dem knollennasigen Fahrer mit Gesten zeigt, was richtig und was falsch ist. Dieser Gnom und die Karikatur eines LKW-Fahrers wurde in der Zielkultur als albern, unseriös und autoritär aufgefasst. Die männlichen Adressaten fühlten sich wie Kinder behandelt und die bildliche Anleitung wurde schnell wieder abgeschafft. (28.03.2016)

Bildanleitung

Vor dem Einsteigen die Betriebsanleitung lesen. Quelle: Sedlaczek/Seiß (1988): Betriebsanleitungen ohne Worte. tekom nachrichten 2/88, S. 24-28.

Seite aus Abfall_ohne_Worte

Was ist Restmüll und wo gehört er hin? Quelle: Abfallwirtschaftsbetrieb des Landkreises Tübingen

0

Lektüre zur Lingua Blablativa

Baumann, Daniel & Hebel, Stephan (2016). Gute-Macht-Geschichten. Politische Propaganda und wie wir sie durchschauen können. Frankfurt/Main: Westend.

 Die Sprache der Politiker ist ein hervorragendes Studienobjekt, wenn man etwas über die kommunikativen Funktionalitäten der Sprache lernen möchte. Politiker müssen oft etwas sagen, aber wollen oder dürfen es nicht. Manchmal haben sie nichts zu sagen. Oder sie müssen eine noch so dürftige Entscheidung als Erfolg anpreisen. Sie müssen Rücksicht auf Koalitionspartner, Diplomatie, Partei usw. nehmen. Das ist keine gute Situation für eine offene und herrschaftsfreie Kommunikation und bringt oft Sätze hervor, die semantisch analysiert eine Zumutung darstellen. Der Soziologe Niklas Luhmann hat sie einmal „Lingua Blablativa“ genannt.

Die Autoren der Gute-Macht-Geschichten, beide Journalisten der Frankfurter Rundschau, wollen die Bedeutungen aufdecken, die sich hinter den Wortfassaden verbergen. Wörter sind oft Abkürzungen für politische Konzeptionen: Deregulierung, Rettungsschirm, sozialverträglich, Freihandel. Und häufig sind es Euphemismen, also Kuschelwörter, die eine Wirklichkeit beschönigen. „geringfügige Beschäftigung“ ist schlecht bezahlte Arbeit; „Flexibilisierung“ ist Anpassung an den Arbeitsmarkt. Die beiden Journalisten wollen eine „Dechiffrierhilfe“ zur Hand geben, um die politischen Schlagwörter richtig zu verstehen.

Manchmal decken Wörter aber auch auf: Beispiel das Wort „Hausaufgaben“ im Zusammenhang mit der Griechenland-Krise. Wolfgang Schäuble: „Die Regierung in Athen muss ihre Hausaufgaben machen, das kann den Griechen niemand abnehmen.“ Hausaufgaben setzen einen Erziehungsberechtigten voraus, sie sind Bestandteil einer asymmetrischen, hierarchischen Kommunikation. Wer seine Hausaufgaben nicht macht, muss mit Sanktionen rechnen. Im Umgang mit gleichberechtigten Staaten in der EU ist das ein dekuvrierender sprachlicher Umgang. – Auch das Wort „alternativlos“ macht deutlich, dass die Sprecherin keine andere Möglichkeit einer Entscheidung anerkennt und auch keine Diskussion erforderlich ist.

Eine andere Kategorie von Wörtern der Politikersprache sind die von dem Linguisten Uwe Pörksen (1988) analysierten Plastikwörter, die weitgehend sinnentleert sind und deshalb überall eingesetzt werden können. Dazu gehören Wörter wie Struktur, System, Beziehung, Modell, Fortschritt usw. Es sind die Wörter, mit denen die bekannten Phrasendreschmaschinen bestückt werden. (27.03.2016)

0

Wortverliebt

In den Zeitungen war zu lesen, dass der Grünen-Abgeordnete Volker Beck mit einer „betäubungsmittelverdächtigen Substanz“ erwischt wurde, so O-Ton Berliner Kriminalpolizei. Derartig schöne Nomen-Adjektiv-Komposita erlaubt die deutsche Grammatik. Andere Beispiel aus dem Behördenbereich: schadstoffreduziert, kostenneutral, steuerbegünstigt. Besonders in der Dichtung sind diese Adjektive sehr nützlich: sommerwiesenbunt, eifersuchszermürbt, sirupschwarz, nebelverhangen. (24.03.2016)

0

Verhalten bei Bränden

Brandbekaempfung1

Diese Warnpiktogramme hängen in den Hostels in Vietnam und sollen zum richtigen Verhalten bei Bränden anleiten: Ich interpretiere: 1. Bei Brand 2. Feueralarm auslösen, 3. den Brand mit Wasser, Sand und Feuerlöscher bekämpfen, 4. Die Feuerwehr unter Nummer 114 anrufen. Soweit ich das klären konnte, sind Text und Bild kongruent. Bei deutschen Verhaltensregeln im Brandfall bringt man sich zuerst in Sicherheit und ruft dann die Feuerwehr an. Foto: Florestan Ballstaedt

plakat_1000

Verhalten bei Bränden in der BRD in zwei Varianten. Quelle: Stadtentwicklung Berlin (22.04.2016)

0

Aufmüpfig

Mein Wort des Monats März ist ein Adjektiv, das in keinem meiner etymologischen Lexika eingetragen ist: aufmüpfig. 1971 war das dialektale Wort das erste „Spitzenwort des Jahres“ (heute nur noch „Wort des Jahres“). Mit dem Wiewort wurde in den späten 1960er Jahren die Widerstandshaltung der Studierenden gegenüber überkommene Autoritäten charakterisiert. Im Spruch „Unter den Talaren der Muff von tausend Jahren“, ist der Muff damit verwandt. Es gibt im Ostfriesischen „muff(el)ig“ im Sinne von „mürrisch“, „verdrießlich“ und im Oberdeutschen „müpfen“ im Sinner von „kritisieren“, „die Nase rümpfen“. Mir gefällt das Wort wegen seiner Konnotationen: Es steckt Eigensinn, Trotz und penetrante Ungehorsamkeit darin. (21.03.2016)

0

Neuroanatomie

IMG_0828

Politische Neuroanatomie auf einem Aufkleber der Sozialistischen Jugend Niederösterreich an den Laternenmasten in Krems an der Donau. Der Rassist ist natürlich männlich. Foto: St.-P. Ballstaedt (20.03.2016)

0