Intermedial

Aus dem Schauspiel-Repertoire des Staatstheaters Stuttgart 2016/17:

Das Fest (nach dem Film von Thomas Vinterberg)
Das kalte Herz (nach einer Erzählung von Wilhelm Hauff)
Die Leiden des jungen Werther (nach dem Briefroman von Goethe)
Herbstsonate (nach dem Film von Ingmar Bergman)
Pfisters Mühle (nach dem Roman von Wilhelm Raabe)
Pünktchen und Anton (nach dem Roman von Erich Kästner)
Ronja Räubertochter (nach dem Buch von Astrid Lindgren)
Tote Seelen (nach dem Roman von Nikolai Gogol)
Tschewengur (nach dem Roman von Andrej Platonov)
Die Marquise von O./Drachenblut (nach Novellen von Heinrich von Kleist)
Der Hals der Giraffe (nach dem Roman von Judith Schalansky)
Fräulein Else (nach der Erzählung von Arthur Schnitzler)
Fräulein Smillas Gespür für Schnee (nach dem Roman von Peter Høeg)
Unterm Rad (nach der Erzählung von Hermann Hesse)
Das Stuttgarter Hutzelmännlein (nach dem Märchen von Eduard Mörike)
Ehen in Philippsburg (nach dem Roman von Martin Walser)

Aus dem Repertoire des Landestheaters Tübingen LTT 15/16/17:

Abgesoffen (nach dem Roman von Carlos Eugenio López)
Bilder deiner großen Liebe (nach dem Roman von Wolfgang Herrndorf)
Demian (nach dem Roman von Hermann Hesse)
Soul Kitchen (nach dem Film von Fatih Akin)
Herz der Finsternis (nach dem Roman von Joseph Conrad)
Szenen einer Ehe (nach dem Film von Ingmar Bergman)
Angerichtet (nach dem Roman von Herman Koch)
Schuld und Sühne (nach dem Roman von Fjodor Dostojewski)
Wie im Himmel (nach dem Film von Kay Pollak)
Der Sandmann (nach dem Schauermärchen von E.T.A. Hoffmann)
Ruf der Wildnis (nach dem Roman von Jack London)
Tschick (nach dem Roman von Wolfgang Herrndorf)

Fällt etwas auf? Warum so viele Adaptionen von Romanen und Filmen auf der Bühne?
Es gibt offenbar viele Regisseure und Dramaturgen/Regisseurinnen und Dramaturginnen, die zwar kein eigenes Stück schreiben können, aber doch gern als Ko-Autoren die Ideen anderer ausnutzen. Der Transfer von einem Medium in ein anderes ist sicher reizvoll und das Ergebnis muss nicht schlecht sein. Aber bleibt da nicht das Theaterrepertoire auf der Strecke? Gibt es keine aktuellen Theaterstücke mehr? (27.02.2017)

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Brillennazi

In der Volksschule erkannte meine Lehrerin bald, dass ich die Tafelanschriebe nicht lesen konnte und deshalb musste ich wegen Kurzsichtigkeit eine Brille tragen, im zarten Alter von sieben Jahren damals (1953) selten. Das Angebot an Brillen für Kinder war spärlich und die Modelle waren sicher von keinem Modedesigner entworfen (AOK-Brille). Mit den Augengläsern in einem Metallgestell sah ich irgendwie lächerlich aus, deshalb werde ich mit einem Schimpfwort gehänselt: Brillen-Nazi. Das Wort habe ich nie vergessen, aber sein Sinn blieb mir verborgen. Ich vermutete ein Kompositum mit der abwertenden Bezeichnung für einen Nationalsozialisten.

Heute weiß ich es besser: „Nazi“ ist ursprünglich eine Koseform des Vornamens Ignaz (lat. Ignatius = der Feurige) der in Bayern und Österreich verbreitet war. Abwertend gebraucht wird das Wort für eine einfältige, törichte Person, so auch einen dummen Brillenträger. Die Bezeichnung „Brillennazi“ wird auch für jemanden benutzt, der selbst Brillen nicht ausstehen kann und deshalb eher Kontaktlinsen trägt: „Ich bin ein richtiger Brillennazi.“ (25.02.2017)

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Fasnet

Fasnacht

Kindlich oder kindisch? Malerei in der Clinicumsgasse in Tübingen. Foto: St.-P. Ballstaedt (24.02.2017)

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Travail accablant

Ein auch in Frankreich umstrittenes Projekt: Das Buch „Mein Kampf“ wird ins Französische übersetzt – Mon combat d’Adolf Hitler, Edition Fayard -, wie auch in der neuen deutschen Ausgabe unter kritischer Aufsicht von Historikern. Aber wer soll es lesen? Historiker, die sich für die deutsche Geschichte interessieren, die verstehen das Buch auch auf Deutsch. Aber vielleicht wird das Werk ja auch ein Bestseller wie in Deutschland.

Der Übersetzter ist Olivier Mannoni hat schon Goebbels Tagebücher übersetzt und ist mit der Sprache des Nationalsozialismus vertraut. Das Übersetzen ist für mich eine belastende Arbeit, wie er in einem Interview in Charlie Hebdo Nr. 1281/15 gesteht. Die Übersetzung offenbart alle Mechanismen der sprachlichen Manipulation: „Lorsque l’on traduit un tel texte, on analyse par la force des choses la manière dont ce mécanisme fonctionne et, je dois dire, il est assez terrifiant.“ (Le Point): „Wenn man einen derartigen Text übersetzt, analysiert man notgedrungen die Art, wie sein Mechanismus funktioniert, ich muss sagen, es ist recht erschreckend.“ Eine Übersetzung ist der härteste Test für einen Text. Eine semantische Schwierigkeit spricht er noch an: Wörter verlieren in der Übersetzung ihre Konnotationen: „Volk“ bedeutet nicht dasselbe wie „peuple“ in Frankreich oder „people in den USA. (18.02.2017)

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Der richtige Kopf für einen verworrenen Text: Olivier Mannoni. Quelle: ActuaLitté, Wikimedia Commons

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Geschlechterkampf

Im Frankfurter Städel ist bis 19. März 2017 eine Ausstellung zu besichtigen, die sich mit den Geschlechterrollen von der Mitte des 19.Jahrhunderts bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges auseinandersetzt: Geschlechterkampf. Franz von Stuck bis Frida Kahlo. Das Leitbild der Ausstellung auf Katalog und Plakat zeigt eine vollbusige Kindfrau, die auf einem Hügel voller blutender Männerleichen hockt (Gustav Adolf Mossa: Sie, 1905). Auf der Rückseite des Katalogs präsentiert Salome, mädchenhaft und durchsichtig bekleidet den Kopf Johannes des Täufers (Jean Benner: Salome, 1899).

Als Mann verlasse ich die Ausstellung etwas beklommen: Der Mann macht im Geschlechterkampf keine gute Figur. Viele starke Frauen: Eva, Lilith, die Sphinx, Medusa, Lamia, Delila, Salome, Judith, Klytämnestra, Pythia; Frauen als Mänaden, Sirenen, Amazonen, Vamyre, Femmes fatales. Die Dominanz des Weibes ist erdrückend, zwischen Opfer ihrer Verführungskünste und Lustmörder ist offenbar keine Rolle für den Mann vorgesehen. Nun sind Kunstwerke nicht die Wirklichkeit, sondern die meist männlichen Künstler haben sich ihre Ängste von der Seele gemalt und sahen im sozialen Erstarken der Frau eine Bedrohung – so im Grußwort des Katalogs. Aber auch das stimmt nicht froh, denn auch damit werden Männer in vollständiger Abhängigkeit von der Frau definiert. Allerdings kann ich mir eine Ausstellung mit anderen Exponaten zum Thema Geschlechterkampf nicht vorstellen. (15.02.2017)

Geschlechterkampf von

Bezeichnendes Cover: Der Mann hat keine Chance, um den Hals hängen Pistole, Dolch und Gift als Schmuck. Im goldenen Heiligenschein steht in Latein ein Zitat des Satirikers Juvenal: „Das will ich, so befehle ich es. Als Grund genügt mein Wille.“ Quelle: Randomhouse

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Wieder Euphemismen

Die Asylpolitik wird verschärft, aber gleichzeitig sprachlich entschärft. Transitzentren dienen nicht dem Transit = der Durchreise, sondern dazu, Flüchtlinge erst gar nicht ins Land zu lassen. Statt Abschiebungen werden jetzt Rückführungen vorgenommen, denn „führen“ klingt humaner als „schieben“. Die Zentren, in denen die Rückführung vollzogen wird, werden von Thomas de Maizière Bundesausreisezentren genannt. Schon der Begriff „Asylbewerber“ ist eigentlich irreführend, weil ein Grundrecht auf Asyl besteht. Um ein Grundrecht kann man sich nicht bewerben, man hat es einfach. Die Neuen Deutschen Medienmacher haben ein Glossar mit Formulierungshilfen für die Berichterstattung über Migration, Kriminalität und Minderheiten herausgebracht. Das sind sprachliche Minenfelder. (10.02.2017)

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Stay green

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Botschaft mit etwas lieblos und grob gebastelter Schablone, vermutlich aus Pappe, mehrfach gesprayt am Schimpfeck in Tübingen. Foto: St.-P.Ballstaedt (06.02.2017)

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Schocknamen

Im Kampf gegen den Tabakkonsum wurden in Frankreich bereits Zigarettenschachteln verordnet, auf denen im mittleren Drittel ein Schockbild und im oberen Drittel ein Warnhinweis aufgedruckt ist, auf dem unteren Drittel darf in neutraler Schrift der Markenname stehen. Jetzt geht es auch den Markennamen an den Kragen. Das Gesundheitsministerium hat Zigaretten- und Zigarrennamen verboten, die glamourös klingen und positive Konnotationen der Feminität, Maskulinität oder Eleganz auslösen können: Vogue, Fine, Allure, Corset, Paradiso. Ausnahme: Die Kultmarken Gauloises (Gallier) und Citanes (Zigeunerinen) dürfen ihren Namen behalten. Zu den Schockbildern kommen vielleicht bald noch Schocknamen. Hier ein paar Vorschläge für deutsche Marken. Zigaretten: Fumaroli, Sargnagel, Karzino, Sklerosis, Infarkto, Nicotini, Stent, Benzolo. Zigarren: Stinkadores, Bronchos. Zwar bin ich Nichtraucher, aber diese bevormundende schwarze Pädagogik geht mir zu weit. Wie sehen bald Produkte aus, in denen Alkohol, Zucker, Fette, Glutamat usw. enthalten sind? (05.02.2017)

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Hallo Schatz,

das Meeting dauert noch… Advertising Postcard aus dem Jahre 2002 für das Klapphandy GD87 von Panasonic (03.02.2017)

Advertisung PostCard

Ein schönes Beispiel für die kommunikative Funktion des gewählten Bildausschnitts. Scan: St.-P. Ballstaedt

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Winter des Lebens

Der Herbst des Lebens ist eine in Gedichten, Sprüchen und Reden oft benutzte Metapher für das Alter. Der Herbst steht hier für die Ernte nach einem erfüllten Dasein. Auf Fotos sieht man dazu alte Menschen an einem goldenen Herbsttag auf Parkbänken sitzen oder am Stock durch das Laub schreiten. Aber nach dem Herbst kommt der Winter: Warum gibt es keinen Winter des Lebens? Hier erstirbt und erstarrt die Natur, es ist neblig und kalt. In den bildlichen Allegorien des Winters sind oft alte Männer oder Greise abgebildet, sie sich über einem Feuer oder glühenden Kohlen die Hände wärmen. Das Wort „Greis“ ist aus dem mittelhochdeutschen gris = grau abgeleitet. Der Greis oder die Greisin sind an Haaren und Haut grau geworden. Den beliebten Vergleich der Jahreszeiten mit den Lebensaltern beendet man lieber im Herbst und lässt den Winter des Lebens aus. (01.02.2017)

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Giuseppe Nogari: Allegorie des Winters, 1766. Dieser Greis kann sich an Körper und Kopf mit Fellen wärmen, aber nach erfülltem Leben sieht er nicht aus. Quelle: Wikimedia Commons.

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