Bonfortionös

Es gibt im Deutschen zahlreiche Adjektive, die mit dem Suffix -ös enden: amourös, glamourös, generös, libidinös, nervös, seriös, monströs usw. Die Bedeutung des Wortbildungsmorphems bezieht sich immer auf ein Substantiv: mit Bravour = bravourös, ein Mysterium = mysteriös, ein Desaster = desaströs, also bedeutet -ös so viel wie „beschaffen wie, gleich“. Schon einiger Wortbeispiele legen nahe, dass es sich um ein Suffix aus dem Französischen handelt, wo -eux häufig vorkommt, das  -x aber in der Grundform nicht ausgesprochen wird. Das Suffix kam als Lehnmorphem im 18. und 19. Jahrhunderts auf, vor allem in der Studentensprache. Adjektive auf -ös setzen einen satirischen Akzent: ein pompöses Auftreten, eine luxuriöse Ausstattung, ein voluminöses Buch, eine skandalöse Person, eine ominöse Geschichte usw. Noch deutlicher wird das bei Wörtern, die offensichtlich übertrieben gemeint sind wie elefantös oder bonfortionös. Theodore Fontane hat das Adjektiv „schauderös“ in die Welt gesetzt. (02.01.2025)

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Mit Tieren kommunizieren

Nach den Untersuchungen von Michael Tomasello haben wir ein Verständnis, wie sich die averbale und sprachliche Kommunikation bei Primaten entwickelt und evolutionär zur menschlichen Kommunikation geführt hat. Andere Vorformen der Kommunikation sind z.B.bei den Bienen bekannt und vor allem die Delphine stehen im Verdacht, mit ihrem Schnattern und Pfeifen über eine komplexe Kommunikation zu verfügen. Jetzt wird künstliche Intelligenz eingesetzt, um z.B. die Kommunikation unter Elefanten zu entschlüsseln. So ein Projekt der Zoologin Angela Stöger, die sich mit Afrikanischen und Asiatischen Elefanten beschäftigt. Zunächst werden sehr viele Ton- und Filmaufnahmen mit gestischer und lautlicher Kommunikation gesammelt. Dann sucht eine spezielle KI nach Mustern in den Tonaufnahmen, die dann mittels der Filmaufnahmen bestimmten Situationen zugeordnet werden. Um die Bedeutung abzusichern, werden dann Lautmuster künstlich erzeugt und den Tieren in freier Wildbahn vorgespielt, um ihre Reaktion zu beobachten. Die Arbeitsgruppe der Wissenschaftlerin untersucht auch die Kommunikation von Geparden, Löwen, Giraffen, Bären und Afrikanischen Wildhunden. Vielleicht gibt es einmal eine App, mit der man sich mit bestimmten Tierarten unterhalten kann. (19.12.2024)

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Einlullen

Wieder einmal ist mir ein Wort aufgefallen, das im Journalismus immer wieder benutzt wird:

„Wenn die Leute also zum Teil beschämt waren, besteht noch Hoffnung, dass die Leute sich dort nicht von der Propaganda einlullen lassen.“ (www.focus.de, gesammelt am 19.03.2022, Wortschatz Leipzig)

Ursprünglich ist „lullen“ im Neuhochdeutschen ein lautmalerisches Wort, das die Geräusche eines saugenden Kleinkinds nachahmen soll, es steht für saugen und lutschen. Der Luller oder die Lulle ist ein Schnuller, später auch für die Zigarette als Schnuller für Erwachsene. Noch im 16. Jahrhundert wird es in der Schriftsprache verwendet, dann wird es in die Mundart verschoben und bekommt dort die zusätzliche Bedeutung von „harnen“, in der Kindersprache „lullu machen“, möglichst in einen Lüllpott. In der Umgangssprache führt dies zum Lullermann als ausführendes Organ.

Schon bei den Brüdern Grimm wird eine zweite Bedeutung aufgeführt, die vermutlich auch mit dem Stillen zu tun hat: eine Melodie vor sich hinsingen, z.B. ein Wiegenlied. So bei Heinrich Heine im »Romanzero«:

„Und es hat der goldne Tajo/Ihm sein Wiegenlied gelullet.“

Jemanden einlullen bedeutet, ihn mit rührseligen und schnulzigen  Liedern ruhig stellen. Der Einluller ist erst ein Sänger, dann wird das Wort auf andere Personen übertragen, z.B. Handelsvertreter oder Politiker. (03.12.2024)

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Endlich verständlich

Mit diesem Slogan wirbt ein Start-up, das eine KI entwickelt hat, mit der Texte in leichte Sprache umformuliert werden können: SUMM AI Es gibt inzwischen etliche Firmen, die eine maschinelle Übersetzung von Texten in Leichte Sprache (LS) anbieten.
Die Leichte Sprache wurde für Menschen mit kognitiven Behinderungen entwickelt, um ihnen eine barrierefreie Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. LS soll damit die Inklusion fördern. Aber auch Menschen, die die deutsche Sprache erst lernen, haben einen großen Nutzen davon, wenn ein Text lexikalisch und syntaktisch nicht kompliziert ist. So sind inzwischen viele Websites offizieller Institutionen und wichtige Dokumente in Leichter Sprache abrufbar. Das schlagende Argument für LS: Alle profitieren davon, wenn Texte verständlich sind. Einfache Sprache ist sozusagen der kleinste gemeinsame Nenner der sprachlichen Kommunikation.

Es werden aber auch Argumente gegen leichte Sprache vorgetragen:
1. Anfangs wurden die fehlende sprachwissenschaftliche Fundierung und die mangelnde empirische Überprüfung kritisiert. Diese Argumente sind jedoch inzwischen hinfällig Die theoretischen und praktischen linguistischen Grundlagen liefern Ursula Bredel & Christiane Maaß (2016) aus dem Dudenverlag oder auch Bettina Bock & Sandra Pappert (2023). Inzwischen liegen auch etliche empirische Studien vor, die eine bessere Verständlichkeit der Leichten Sprache bei der Zielgruppe bestätigen, wenn auch mit differenzierten Befunden, denn nicht alle Gruppen profitieren gleichermaßen (z.B. die LeiSA-Studie).
2. Leichte Sprache kann Exklusion fördern, da sie speziellen Gruppen einen sprachlichen Sonderstatus einräumt, der mit sozialer Abgrenzung verbunden ist. Diese Gefahr besteht, aber sie betrifft alle Maßnahmen für benachteiligte Gruppen. Eine barrierefreie sprachliche Kommunikation ist auch gesetzlich vorgeschrieben.
3. Wenn der Stil der Leichten Sprache sich in vielen Anwendungen durchsetzt, wird der Sprachgebrauch eingeschränkt, da viele Formulierungsmöglichkeiten durch das LS-Regelwerk ausgeschlossen sind. Viele Lesende werden unterfordert und komplexen wissenschaftlichen und literarischen Texten entfremdet. Dieses sprachpflegerische Argument hat sicher seine Berechtigung, allerdings ist die LS auf Sach- und Informationstexte ausgerichtet, die Sprachkultur im Feuilleton oder in der Literatur ist nicht betroffen. Allerdings gibt es auch Bestrebungen Goethe oder Shakespeare in Leichte Sprache zu übersetzen. Und es gibt auch literarische Versuche in Leichter Sprache, siehe dazu meinen früheren Beitrag. (02.12.2024)

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On the wall

Entdeckt im Mordio-Gäßle in Tübingen. Identitätsprobleme eines Backsteins? Eine überzeugende Interpretation im Kommentar. Foto: St.-P. Ballstaedt (01.12.2024)

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Fahnenworte

In der politischen Sprache werden gern Wörter benutzt, die einen hohen Wert zum Ausdruck bringen und in der politischen Auseinandersetzung wie Fahnen vor sich her getragen werden. Derzeit ist das z.B. die Schuldenbremse. Dabei handelt es sich inhaltlich um eine verfassungsrechtliche Maßnahme zur Begrenzung der Staatsverschuldung. Aber das Wort wird mit verschiedenen Konnotationen versehen. Die FDP sieht darin ein Mittel der Sparsamkeit und Generationengerechtigkeit. Die Jusos und die Linke sehen darin eine Hemmnis für notwenige Investitionen und das Wirtschaftswachstum. Dasselbe Wort wird unterschiedlich benutzt, in unterschiedlichen politisch-weltanschaulichen Kontexten, aber immer verbunden mit starken emotionalen Konnotationen. Für die einen ist Pazifismus eine moralisch hochstehende Position, für andere eine realitätsferne und feige Gesinnung.
Viele Fahnenwörter haben einen derartigen Spielraum der Bedeutung (Fachausdruck: ideologische Polysemie): Demokratie, Freiheit, Menschenwürde, Solidarität sind allgemeine Wörter, die sehr unterschiedlich definiert werden können. Wie politische Begriffe mit Bedeutung aufgeladen werden, kann man derzeit am Begriff des Antisemitismus beobachten. Antisemitismus ist in Wort und Tat die Ablehnung und Diskriminierung von Menschen jüdischen Glaubens, kurz Judenhass. In der Antisemitismus-Resolution des Bundestages wird aber auch Kritik an der zum Teil rechtsextremen israelischen Regierung Netanjahu unter den Verdacht des Antisemitismus gestellt. Das bedeutet: Wer die Siedlungspolitik, die Verletzung des Völkerrechts, die inhumane Kriegsführung usw. kritisiert, ist zumindest ein latenter Antisemit. So werden Bedeutungsgrenzen verschoben, zumindest wird es versucht. (28.11.2024)

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Historischer Humor 19

Ich habe schon etliche Beispiele dafür angeführt, dass Witze und humorvolle Texte und Bilder aus fernen Zeiten uns oft kaum noch zum Lachen bringen. Humor hat ein Verfallsdatum. Aber es gibt auch den umgekehrten Fall, dass ein Text, der ursprünglich ernst gemeint war, heute als witzig  Schmunzeln und Lachen auslöst.

Ein Beispiel. Der Aufklärungspädagoge Christian Gotthilf Salzmann (1744-1811) war evangelischer Pfarrer, der mehrere Traktate zur religiösen, moralischen und sexuellen Erziehung veröffentlicht hat. Er betreute auch ein Preisausschreiben zum Modethema Schnürbrüste, zu dem zwei Beiträge eingereicht wurden, die er in einer Schrift: „Über die Schädlichkeit der Schnürbrüste“ (1788), veröffentlichte. Das Buch war „Den deutschen Weibern gewidmet“ und enthält eine akribische Beschreibung der weiblichen Brust und ihrer anatomischen Umgebung (aber ohne Abbildungen). Der vorangestellte „Ideengang“ löst heute vor allem Heiterkeit aus:

„Der Einfluß der Schnürbrüste auf den Wuchs des weiblichen Koerpers, auf die Bildung, Geburt und Säugung des Kindes scheint mir am gründlichsten und sichersten bestimmt werden zu können, 1) wenn man die natürliche Form einer gesunden Brusthöle genau mit der allgemeinen Form einer Schnürbrust vergleicht, und die etwaigen Unterschiede anmerkt. Denn ohnstreitig legt man eine Schnürbrust an, um eine Abänderung an der natürlichen äusserlichen Form zu verursachen. 2) Wenn man sowohl an Lebendigen als Todten untersucht, welche Veränderungen durchs Schnüren sowohl in den einzelnen Theilen, woraus die Form der Brusthöle zusammengesetzt ist, als im Ganzen derselben wirklich erfolgt. Und 3) alsdann dieses auf die Bildung, Geburt und Säugung des Kindes, anwendet.“

Ein beeindruckendes Forschungsprogramm, das allerdings die Beliebtheit des Korsetts nicht verhindert hat. (20.11.2024)

Das Titelblatt der Veröffentlichung und eine Schnürbrust aus dem 18. Jahrhundert. Quellen: Wikimedia Commons und https://books.google.de/books?id=PME_AAAAcAAJ&printsec=frontcover&hl=de&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=onepage&q&f=false

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Historischer Humor 18

Das Wort „Aberwitz“ knüpft an die ursprünglich Bedeutung von Witz als Verstand und Klugheit an, das Präfix „aber“ kehrt die Bedeutung um in Irrsinn, Unverstand, Unsinn, auch Wahnwitz. Für Genderinteressierte: Das Wort aus dem 14. Jh. war bis ins 17. Jh. ein Femininum, erst danach wurde es zum Maskulinum. Dieselbe Wortbildung findet man bei Aberglaube.
Im Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm findet sich ein entsprechendes Zitat von Wieland: „…dasz es zum besten der menschlichenGesellschaft gereiche, wenn der vernunft und dem witze, folglich auch der der unvernunft und dem aberwitze volle freiheit gelassen werde.“
Die Lust am Unsinn bedienen absurde Witze, z.B. Irrenwitze und Paradoxwitze, die die Wirklichkeit und die Logik völlig auf denKopf stellen. Lutz Röhrich spricht von surrealistischen Witzen, sie haben aber mit dem Surrealismus als Kunstrichtung nichts zu tun. In den USA gibt es seit etwa 1940 ein eigenes Genre, die „Shaggy Dog Stories“, weil oft Tiere, speziell Hunde eine Rolle spielen. Jeder kennt einen Witz mit dem Anfang: „Kommt ein Hund in die Bar….“ Ein Witzbeispiel (ausRöhrich, 1977, S. 127/128):

Ein Mann spielt mit seinem Hund Schach. Ein zweiter Herr tritt hinzu und meint „Sie haben aber einen klugen Hund!“ Worauf der Schachspieler antwortet: „Wieso, er hat doch schon zwei Partien verloren.“

Eine aberwitzige Situation wird als selbstverständlich vorausgesetzt, die überraschende Pointe ist für einen Witz typisch. (09.11.2024)

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New Adult

Eine Kernmaxime der Kommunikationswissenschaft lautet: Spreche und schreibe adressatenorientiert!

Auf der Frankfurter Buchmesse war eine Halle der New-Adult-Literatur gewidmet, das sind Romane für junge Erwachsenen zwischen 18 und 29 Jahren. Vor allem schreiben Autorinnen vorwiegend für weibliche Lesende. Die Protagonisten der Texte befinden sich im selben Alter, entsprechend altersspezifisch sind die Themen: Beziehungen, Sexualität, Beruf, Studium, Selbstverwirklichung und aktuell Cyber-Mobbing, Bodyshaming, Genderfluidy, Drogenkonsum, Partnerbörsen und Dating. Eine Unterkategorie sind Dark Romance-Romane, gefährliche Leidenschaften mit Bad Boys.

Dass es Bücher für Kinder und Jugendliche gibt, ist verständlich, denn hier liegen besondere kognitive und emotionale Befindlichkeiten vor, aber müssen junge Erwachsene auch mit einer eigenen Literatur bedacht werden? Muss es eine Literatur speziell für Frauen oder Männer geben? Gibt es einmal Regale mit Büchern ab 30, ab 40, ab 50 usw. Gute Literatur bearbeitet Probleme, die alle Menschen betreffen, es geht um die condition humaine, auch wenn es natürlich Fokussierungen auf bestimmte Probleme gibt. Bei dem Genre New Adult geht es vor allem um Marketing, man will mit dieser Trivialliteratur neue Leserkreise erreichen. (02.11.2024)


Das Angebot für junge Erwachsene ist kaum noch überschaubar. Screenshot eines Ausschnitts im Internet.

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